Nicht alles war klar auf der ANDREA DORIA

MS ANDREA DORIA im Nordatlantik.
MS ANDREA DORIA im Nordatlantik. © naviearmatori.net

Die Schiffskatastrophe im Nordatlantik vom 25. Juli 1956
Vor 60 Jahren, Ende Juli 1956 und in den darauffolgenden Tagen und Wochen sorgte eine Schiffskatastrophe im Nordatlantik für ein Rauschen im Blätterwald und für heftige Debatten in Seefahrerkreisen. Am 25. Juli 1956 war im Atlantik vor der Küste der USA der italienische Luxusliner ANDREA DORIA mit dem schwedischen Passagierdampfer STOCKHOLM vor der US-Küste kollidiert und später im Meer versunken.
Die ANDREA DORIA (benannt nach dem Genuesischen Seehelden, Staatsmann und Großadmiral der Mittelmeer-Flotte des römisch-deutschen Kaisers Karls V. – 1468-1560) war der Stolz der italienischen Kreuzfahrtflotte. Der 1954 fertiggestellte 212 m lange und 30 m breite 30.000 BRT-Luxusliner der Reederei Societa di Navigazione Italia war ein für die damalige Zeit supermodernes Schiff und galt als besonders sicher – es hatte einen Doppelboden und im Gegensatz zu der 1912 nach einer Kollision mit einem Eisberg gesunkenen TITANIC Rettungsboote für alle Passagiere. Drei Freiluft-Swimmingpools zeugten von dem Luxus an Bord.
Im Juli 1956 befand sich die ANDREA DORIA mit 1134 Passagieren und 572 Besatzungsmitgliedern auf der Fahrt von Genua nach New York. In den Abendstunden des 25. Juli näherte sich das Schiff dem Hafen von Nantuckett (US-Bundesstaat Massachusetts) und war nur noch 200 Seemeilen (etwa 370 km) von New York entfernt, dessen Hafen tags darauf angelaufen werden sollte.
Zur gleichen Zeit befand sich der 13.000 BRT-Passagierdampfer STOCKHOLM auf der Fahrt von New York nach dem schwedischen Hafen Göteborg im gleichen Seegebiet. Die ANDREA DORIA fuhr in dichtem Nebel, die STOCKHOLM unter klarem Himmel, als das Radar auf beiden Schiffen einen gefährlich dicht beieinander liegenden Parallelkurs anzeigte. Entgegen den üblichen Regeln bei derartigen Situationen entschloss sich der Kapitän der ANDREA DORIA, Piero Calami, zu einem Ausweichmanöver nach Backbord, also nach links, in der Annahme, ihm komme nur ein Fischkutter entgegen und es gäbe genügend Platz zum Ausweichen. Doch der wachhabende Offizier auf der STOCKHOLM hatte seinerseits ein Manöver nach Steuerbord, also nach rechts, eingeleitet. Auf schwedischer Seite wunderte man sich auch, dass keine Lichter des entgegenkommenden Schiffes zu sehen waren, man glaubte an ein verdunkeltes Marinefahrzeug. An den Nebel, in dem die ANDREA DORIA fuhr, dachte niemand.
Beide Schiffe waren so auf Kollisionskurs. Als die ANDREA DORIA aus den Nebelschwaden auftauchte, waren beide Schiffe einander schon so nahe, dass letzte Ausweichversuche „Hart Steuerbord“ der STOCKHOLM und „Hart Backbord“ der ANDREA DORIA umsonst waren.


Um 23.06 Uhr Ortszeit kam es zur Katastrophe – der Bug der STOCKHOLM bohrte sich in die Rumpfseite der ANDREA DORIA auf deren Steuerbordseite. Die Wucht des Aufpralls zerfetzte den Bug der STOCKHOLM und riss in die Steuerbordseite der ANDREA DORIA unterhalb der Kommandobrücke ein bis zu 12 m breites Loch. Die in den Rumpf des italienischen Schiffes hereinstürzenden Wassermassen füllten die fast leergefahrenen Treibstofftanks auf der einen Seite, auf der anderen Seite bewirkten sie einen Auftriebseffekt. Diese Gewichtsverlagerung führte dazu, dass die ANDREA DORIA Schlagseite bekam und trotz geschlossenem Schottensystem nach elfstündigem Todeskampf im Atlantik versank. Das Wrack liegt noch heute in rund 70 m Tiefe auf dem Grund des Ozeans.
Die Angaben ĂĽber die Opferzahlen schwankten, in den meisten Quellen war von 46 toten Passagieren auf der ANDREA DORIA und von fĂĽnf toten Besatzungsmitgliedern auf der STOCKHOLM die Rede. Hunderte Personen wurden verletzt.
Alle Opfer waren auf die Kollision zurückzuführen, niemand ertrank, obwohl manche Passagiere des italienischen Schiffes in das Meer gesprungen waren. Ein Großteil der Rettungsboote der ANDREA DORIA konnte wegen der zunehmenden Schlagseite des Schiffes nicht auf da Wasser herunter gelassen werden, nur bei drei Booten war dies möglich. Eine beispiellose Rettungsaktion hat eine schlimmere Katastrophe verhindert. Der SOS-Ruf von Kapitän Calami erreichte vier in der Nähe fahrende Schiffe, die sich sofort an die Unglücksstelle begaben und in das Meer gesprungene Schiffbrüchige aufnahmen. Sogar die STOCKHOLM, deren Kapitän Gunnar Nordenson sein bugloses Schiff mit eigener Kraft in Sicherheit bringen konnte, übernahm hunderte Passagiere des italienischen Liners.
Nachdem Mitte des 20. Jhdts. moderne Navigationsgeräte wie Funkpeiler und Radar zur Standardausrüstung von Schiffen gehörten, hielt man Schiffskollisionen in den Weiten des Atlantiks für ausgeschlossen und fragt sich noch heute, wie die Katastrophe vom 25. Juli 1956 passieren konnte.
Eine spätere Seegerichtsverhandlung über die Katastrophe brachte keine Aufklärung. Für beide Reedereien war der Nebel der „Hauptschuldige“, sie schlossen einen Vergleich. ANDRA DORIA-Kapitän Calami fuhr nie wieder zur See.
Rocksänger Udo Lindenberg sang einst „Alles klar auf der ANDREA DORIA“. Und auch einer ihrer letzten Funksprüche vor der Kollision soll so gelautet haben.
Das SchiffsunglĂĽck zeigte, dass das nicht der Fall war.

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Harald Krachler
Gastautor bei VEUS-Shipping.com.