Weltkriegsgefahr durch Suezkrise 1956

Brennende Öltanks in Port Said nach dem englisch-französischen Angriff während der Suezkrise am 5. November 1956.
Brennende Öltanks in Port Said nach dem englisch-französischen Angriff, 5. November 1956. © Fleet Air Arm official photographer.

UNO und USA konnten das Schlimmste verhindern

Vor 60 Jahren, im Herbst 1956 stand als Folge der Verstaatlichung des 1869 eröffneten Suezkanals durch Ägypten und einer anschließenden britisch-französischen Militärintervention in der Region der Weltfriede – auch wegen der zeitgleichen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes – auf Messers Schneide. Nur mäßigendes Eingreifen der UNO unter ihrem damaligen Generalsekretär Dag Hammarskjöld und der USA konnten das Ärgste verhindern.

Die seit 1882 in Ägypten, zuletzt nur mehr am Westufer des Suezkanals stationierten britischen Truppen waren bis Juni 1956 abgezogen worden. Die britisch-französisch dominierte Suezkanalgesellschaft (Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez) wollte aber erst 1968, wenn ihre Konzession 99 Jahre nach Kanaleröffnung auslief, ihre Tätigkeit einstellen.
Ägyptens damaliger Präsident Gamal Abdel Nasser plante die Verwirklichung eines ehrgeizigen Projekts, den großen Nilstaudamm bei Assuan südlich eines schon 1902 errichteten kleineren Dammes mit Unterstützung durch die Weltbank, die USA und Großbritannien. Doch Kairos Beziehungen mit beiden letzteren Staaten verschlechterten sich wegen der ägyptischen Propaganda gegen mit London befreundete arabische Staaten und Nassers sowjetfreundlicher Politik. So zogen die USA, Großbritannien und auch die Weltbank ihr Hilfsangebot an Kairo zurück, wobei auch Zweifel an der Stabilität von Ägyptens Politik und Wirtschaft ins Treffen geführt wurden. Der darüber empörte Nasser beschloss daraufhin die Verstaatlichung des Suezkanals, um mit den Passagegebühren den Dammbau bei Assuan finanzieren zu können. Am 26. Juli 1956 verlas er in Alexandria in einer Brandrede gegen London und Paris das Verstaatlichungsgesetz für den Kanal, versicherte jedoch, die freie Schifffahrt durch die Wasserstraße aufrecht erhalten zu wollen. Handstreichartig wurden an diesem Tag alle Gebäude der Kanalverwaltung in Ägypten besetzt, der Kanal zur Militärzone erklärt und die Kompetenz zur Klärung von Streitfragen ausschließlich ägyptischen Gerichten unterstellt.

Die geschockte oberste Instanz der Suezkanalgesellschaft in Paris beschloss nach Abzug der Compagnie-Lotsen, die Kanalanlagen auch unter ägyptischer Aufsicht durch Einsatz europäischer Lotsen in Betrieb zu halten. London und Paris aber hatten die Sorge, Nasser könnte bei Gelegenheit den Suezkanal als politisches Druckmittel verwenden. Treibende Kraft unter den Politikern, die den Widerruf der Verstaatlichung forderten, war der britische Premierminister Sir Anthony Eden. Aber auch in Paris stand die Regierung Guy Mollet unter dem Druck der Compagnie-Aktionäre, auch grollte Paris Nasser wegen dessen Unterstützung für die algerischen Rebellen. So diente die Sicherung des freien Schiffsverkehrs zwischen Port Said und Suez als Vorwand für eine geplante britisch-französische Militärintervention. Dazu nahmen Offiziere beider Länder am 31. Juli in London Gespräche auf, die bald auf Generals- bzw. Generalstabsebene angehoben wurden. Paris wollte eine Truppenlandung in Alexandria, London in Port Said. Trotz Aufrufen der USA zu Zurückhaltung wurden die Invasionsvorbereitungen vorangetrieben. Die Briten verlegten Anfang August 1956 Düsenjäger nach Malta, entsandten Flugzeugträger in das östliche Mittelmeer und beriefen Reservisten ein. In Toulon hielten sich französische Kriegsschiffe für den Einsatz in Ägypten bereit.

Landkarte mit eingezeichneten Operationen während der Sueskrise.
Operationen während der Sueskrise. © U.S. Army.

Im August teilte die israelische Armee dem integrierten britisch-französischen Oberkommando ihre Bereitschaft zu einem Angriff auf die Halbinsel Sinai mit Stoßrichtung Suezkanals mit. Ministerpräsident David Ben Gurion, der die Zeit für einen Krieg gegen Ägypten wegen verübter Sabotageakte auf israelischem Gebiet gekommen sah, nahm Kontakt mit London und Paris auf. Generalstabschef Moshe Dayan ließ ab 27. September Pläne für eine Sinai-Offensive der Armee ausarbeiten. Anfang Oktober kam in London die Idee auf, den israelischen Angriff als Begründung für die internationale Intervention zur Sicherung der Durchfahrtlurch den Suezkanals zu nutzen. Israel riet Briten und Franzosen, sich „offiziell“ gegen die israelische Intervention zu stellen, falls ihnen eine rasche Vernichtung von Ägyptens Luftwaffe gelingen würde. Trotz weiterer Aufrufe aus Washington zur Zurückhaltung wurden die Invasionsvorbereitungen vorangetrieben, wobei die Briten das Hauptquartier dafür in Zypern einrichteten.
Am 29. Oktober sprangen israelische Fallschirmjäger am Mitla-Pass etwa 30 km östlich des Suezkanals ab. Am 30. Oktober erging ein auf 12 Stunden befristetes Ultimatum aus London und Paris an Israelis und Ägypter, sich jeweils 15 km vom Suezkanals zurückzuziehen, „andernfalls es zu einem gemeinsamen Landemanöver und vorübergehender Besetzung ägyptischen Bodens kommen würde“. Israel nahm das Ultimatum an, Ägypten lehnte es ab.

36 Stunden nach der israelischen Luftlandeaktion bombardierten die Briten den Kairoer Rundfunksender und vernichteten zahlreiche Maschinen auf ägyptischen Militärflugplätzen. Die Israelis nahmen bis 2. November den Gaza-Streifen ei, kurz darauf auch Sharm el-Sheikh an der Südspitze Sinais und boten eine Waffenruhe an. London und Paris aber wünschten eine Fortsetzung der Kämpfe zwischen Israelis und Ägyptern, um ihr Eingreifen am Suezkanal rechtfertigen zu können. Den Israelis wurde die Waffenruhe ausgeredet. Am 5. und 6. November sprangen britische und französische Fallschirmjäger über dem Nordende des Suezkanals ab, die Briten über Port Said, die Franzosen über Port Fuad am Ostufer des Kanals gegenüber von Port Said. Als Folge der Beschießung von Port Said durch alliierte Kriegsschiffe gab es dort Tote und Verletzte, sowie Gebäudeschäden. Die Stadt wurde am 6. November von den Briten eingenommen, dann stießen alliierte Panzerkolonnen entlang des Kanals in südlicher Richtung vor, Luftlandetruppen rüsteten sich zum Sprung auf El Kantara.

Inzwischen waren die UNO, die USA und die UdSSR aktiv geworden. Gegen die Stimmen Londons und von Paris hatte der Weltsicherheitsrat nach dem Losschlagen der Israelis die Einberufung der UNO-Vollversammlung zur Suezkrise beschlossen. Sie Tage nach dem 1. November insgesamt dreimal, bei der dritten Sitzung wurde gegen die Stimme Israels und bei Stimmenthaltung von Briten und Franzosen der Abzug der ausländischen Truppen aus der Kanalzone und der Einsatz einer internationalen Streitmacht unter UNO-Kommando (UNEP) zur Beendigung der Kämpfe und zur Überwachung des in der Nacht von 6. auf 7. November in Kraft getretenen Waffenstillstandes beschlossen. Dieser Waffenruhe waren 48 Stunden höchster Dramatik vorangegangen. Die USA hatte den Vorschlag des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikolai Bulganin für ein gemeinsames Eingreifen der beiden Supermächte abgelehnt, der Sicherheitsrat einen sowjetischen Resolutionsentwurf für gemeinsame militärische Hilfe beider Mächte an Ägypten. Daraufhin drohte Moskau offen mit Gewalt, einschließlich des Einsatzes von Raketen zur Wiederherstellung des Nahost-Friedens, so dass sich die Gefahr einer offenen Verwicklung der Supermächte in den Suez-Konflikt und damit sogar eines Weltkrieges abzeichnete, verschärft durch die zeitgleiche Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes durch sowjetische Truppen. Moskau brach die Beziehungen zu Israel ab, fünf arabische Staaten ihre zu Großbritannien, drei jene zu Frankreich. Ölleitungen, die zum Mittelmeer führten wurden unterbrochen. Das Pfund Sterling verlor an den Weltbörsen an Wert, die Lahmlegung des Suezkanals durch Ägypten durch Versenkung von Schiffen und Baumaschinen drohte, die Ölversorgung Europas aus dem Nahen Osten empfindlich zu stören. Das Commonwealth wurde durch Austrittsdrohungen, u.a. durch Indien, schwer erschüttert.

Die USA boten London eine Möglichkeit, einer Waffenruhe am Suezkanal zuzustimmen. London erhielt die Zusage eines IWF-Kredits zur Stützung seiner Währung, sofern bis 7. November 00.00 Uhr die Kämpfe eingestellt würden. Premierminister Eden musste die Bedingung annehmen. Die Franzosen konnten die Invasion nicht allein fortsetzen, so dass die Waffenruhe in der Nacht auf 7. November 00.00 Uhr in Kraft treten konnte Bis dahin waren Briten und Franzosen bis auf 1,5 km an El Kantara herangelangt. Am 7. November wurde noch Ismailia besetzt, womit die Alliierten die nördlichen 30 km des Suezkanals unter Kontrolle hatten. Die Israelis waren 15 km östlich des Suezkanals stehen geblieben. London und Paris, nicht aber Israel, erklärten sich bereit, nach Eintreffen der UNO-Streitmacht ihre Truppen aus Ägypten abzuziehen, das am 11.November der Entsendung von UNO-Truppen zugestimmt hatte, deren erste Einheiten am 15. November an den Suezkanals kamen. Einen Tag vorher hatte Moskau mit der Entsendung von Freiwilligen gedroht, falls die Invasoren nicht unverzüglich Ägypten verließen. Darauf hatte die USA mit Gegendrohungen reagiert. UNO-Generalsekretär Hammarskjöld erhielt umfangreiche Vollmachten für die Stationierung der UNO-Truppen und die Finanzierung der Stationierungskosten. Israel zog seine Truppen erst im März 1957 aus Ägypten ab, nachdem UNO-Truppen im Gaza-Streifen und in Sharm el-Sheikh eingetroffen waren.

Für Briten und Franzosen bedeutete das Suez-Abenteuer einen weltweiten Prestigeverlust, die kalkulierten Kosten der Aktion wurden um das 60-fache (!) übertroffen. Die britische Volkswirtschaft erlitt erhebliche Verluste. Premierminister Eden musste zurücktreten, ein Trauma, das er nie überwunden hat. Sein Nachfolger als Premier wurde sein bisheriger Außenminister Harold Macmillan. Nasser konnte sich im neugewonnenen Prestige in der arabischen Welt und unter den blockfreien Staaten sonnen. Psychologischer Vorteil für ihn war, dass sich Briten und Franzosen mit seinem Hauptfeind Israel verbündet hatten. Die Ägypter glaubten, ihr Präsident habe die Invasoren zum Rückzug gezwungen. Britische und französische Bürger wurden aus Ägypten ausgewiesen, das Denkmal des Suezkanal-Erbauers Ferdinand de Lesseps (nach Plänen des Österreichers Alois Negrelli) an der nördlichen Kanaleinfahrt gesprengt. Der große Assuan-Staudamm wurde in der Folge mit sowjetischer Hilfe errichtet. Die Räumung des blockierten Suezkanals nahm längere Zeit in Anspruch, nach dem Sechstage-Krieg 1967 war er dann erneut, diesmal bis 1975 blockiert. 1966, im letzten vollen Betriebsjahr vor diesem Krieg, war er von 21.500 Schiffen, davon die Hälfte Öltanker, passiert worden.

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Harald Krachler
Gastautor bei VEUS-Shipping.com.