Auf den Spuren der GEMINI

Die GEMINI 2018 in Etstur-Farben in Mykonos.
Die GEMINI 2018 in Etstur-Farben in Mykonos.

Die GEMINI ist unter den Kreuzfahrtschiffen unserer Tage ein Unikat: Ihre Passagierkapazität liegt noch im dreistelligen Bereich, womit sie längst als klein gilt. Im Luxus-Segment, wo man sich derlei Exklusivität für gewöhnlich teuer erkaufen muss, ist sie aber dennoch nicht angesiedelt. Stattdessen ist sie ein beliebtes Charter-Objekt – als Wohnschiff, aber auch für Kreuzfahrten, die sich nur in den Sommermonaten lohnen. Gesichert ist die Zukunft der GEMINI deswegen aber nicht, im Gegenteil.

In ihrer Rolle als Wohnschiff hat die GEMINI im April 2019 in Cadiz festgemacht.
In ihrer Rolle als Wohnschiff hat die GEMINI im April 2019 in Cadiz festgemacht. Foto: Kai Ortel

Bereits als das Schiff 1992 unter dem Namen CROWN JEWEL in Dienst gestellt wurde, war ihm die Konkurrenz größenmäßig meilenweit voraus. Die SOVEREIGN OF THE SEAS war 1987 in Fahrt gekommen, die Schiffe der FANTASY-Klasse (Carnival Cruise Line) ab 1990, allesamt mit einer Kapazität für jeweils mehr als 2.500 Passagiere. Selbst die Schiffe des Premium-Segments, in dem die CROWN JEWEL angesiedelt war (wie etwa die HORIZON und ZENITH oder eine STATENDAM), waren damals bereits wesentlich größer als das Paar, das die schwedisch-finnische Commodore Cruise Line für ihre Tochtergesellschaft Crown Cruise Line in Spanien hatte bauen lassen. So konnten die CROWN JEWEL und CROWN DYNASTY bei Doppelbelegung lediglich 820 Passagiere (maximal 916) aufnehmen. Entsprechend war auch das Angebot an öffentlichen Räumen an Bord kleiner und das Verhältnis Raum pro Passagier ungünstiger (23,2 bei der CROWN JEWEL gegenüber 34,5 bei der HORIZON). Großer Erfolg war den beiden Schiffen daher anfänglich nicht beschieden. Während die CROWN DYNASTY 1997 an die Norwegian Cruise Line und später an Fred. Olsen wechselte, wurde die CROWN JEWEL schon 1995 an den damals aufstrebenden asiatischen Kreuzfahrt-Newcomer Star Cruises verkauft, der das Schiff in SUPERSTAR GEMINI umbenannte und auf Seereisen ab Singapur einsetzte. Auch dort konnte das elegante kleine Schiff jedoch nicht lange mit dem rasanten Wachstum der Branche mithalten. Ende 2007 verkaufte Star Cruises die SUPERSTAR GEMINI daher an die dänische Clipper Group. Ein weiteres Jahr verblieb es noch in Rückcharter auf dem asiatischen Markt, dann fand es sich überraschend in Europa wieder.

Ihr Schwesterschiff BRAEMAR (die ehemalige CROWN DYNASTY) wurde da bereits zwecks Kapazitätsaufstockung bei Blohm & Voss um 31 Meter verlängert, die ehemalige CROWN JEWEL beließ ihr neuer Eigner dagegen im Bauzustand. Vor allem in Europa gab es damals noch eine Reihe von Klein- und Kleinstreedereien, die versuchten, den Großen der Kreuzfahrtbranche Paroli zu bieten, indem sie gezielt eine bestimmte Sprachgruppe oder Nationalität umwarben. Hierzu gehörte auch der spanische Anbieter Vision Cruceros, an den Clipper die SUPERSTAR GEMINI Anfang 2009 vercharterte.

Die GEMINI 2018 in Etstur-Farben in Santorin.
Die GEMINI 2018 in Etstur-Farben in Santorin.

Noch bevor das Schiff diese Charter unter dem Namen VISION STAR antreten konnte, meldete Vision Cruceros allerdings Insolvenz an. Mit Quail Cruises sprang jedoch ein spanischer Mitbewerber ein, der die Charter übernahm und das kleine Schiff fortan unter dem Namen GEMINI einsetzte. Das Unternehmen firmierte 2010 in Happy Cruises um, musste jedoch ein Jahr später ebenfalls Insolvenz anmelden. Erneut sah damit auch die GEMINI einer ungewissen Zukunft entgegen, denn der Markt für Kreuzfahrtschiffe ihrer vergleichsweise überschaubaren Größe war in den Jahren seit ihrem Verkauf an Clipper 2007 nicht eben größer geworden.

Doch plötzlich tat sich ein neues Betätigungsfeld auf. Nachdem die GEMINI die erste Hälfte des Jahres 2012 in Tilbury aufgelegen hatte, diente sie während der Olympischen Sommerspiele in London im dortigen Royal Albert Dock als Hotelschiff. Danach allerdings wurde es still um das Schiff. Ein neuer Charterer fand sich diesmal nämlich nicht, stattdessen verbrachte die GEMINI das ganze Jahr 2013 weiter aufgelegt in Tilbury. Dies änderte sich erst wieder, als sie im Juli 2014 nach den Shetland-Inseln verholte, wo sie als Wohnschiff für Arbeiter eines Gaskraftwerkes zum Einsatz kam. Diese Charter zog sich bis in den November 2015 hinein, was der Clipper Group zwar kontinuierliche Einnahmen bescherte, Hoffnungen auf eine Rückkehr der GEMINI auf den internationalen Kreuzfahrtmarkt aber zunehmend dämpfte.

Just in diesem Moment meldete die zypriotische Reederei Celestyal Cruises Interesse an der alten CROWN JEWEL an. Celestyal, die ehemalige Louis Cruise Line, wollte das Schiff anstelle der CELESTYAL ODYSSEY in den Sommermonaten auf Kreuzfahrten in der Ägäis einsetzen; mit ihrer Kapazität und ihren übersichtlichen Abmessungen war die GEMINI wie geschaffen für kürzere Schiffsreisen in der griechischen Inselwelt. Umbenannt in CELESTYAL NEFELI verbrachte sie sowohl 2016 als auch 2017 in Charter für Celestyal Cruises, wo sie für griechisches wie auch für türkisches Publikum Kreuzfahrten ab Lavrion bzw. Izmir durchführte.

Als ihre Zwei-Jahrescharter im Oktober 2017 endete, stand die GEMINI jedoch wieder einmal ohne Beschäftigung da. Wie gerufen kam da ein Anruf aus Amerika. Im September hatte Hurrikan „Maria“ schwere Zerstörungen u. a. auf den U.S. Virgin Islands angerichtet. Dorthin wurde die GEMINI Ende Dezember beordert, um abermals Arbeitern als Wohnschiff zu dienen. Den Vertrag schloss die Clipper Group diesmal mit der US-Regierungsbehörde FEMA, die neben der GEMINI auch noch die Kreuzfahrtschiffe GRAND CELEBRATION und CARNIVAL FASCINATION charterte.

Anfang Februar 2018 endete der Einsatz der GEMINI in der Karibik, da hatte Clipper auch schon eine Beschäftigung für den Sommer gefunden. Diesmal hatte nicht Celestyal Cruises, sondern deren türkischer Konkurrent Etstur das Schiff gechartert, jedoch zunächst nur für eine Saison. Die leitenden Offiziere an Bord stellte nun Cruise Management International (CMI) aus Miami, das Einsatzgebiet der GEMINI blieb hingegen mehr oder weniger dasselbe wie in den beiden Jahren zuvor: die Ägäis zwischen Izmir, Piräus, Mykonos, Santorin und Rhodos. Nur mit dem Unterschied, dass unter Etstur-Regie nun das kleine Çeşme Ein- und Ausschiffungshafen wurde. Die Saison 2018 dauerte von Anfang Juni bis Mitte September, und ob es 2019 in Çeşme ein Wiedersehen mit der GEMINI geben würde, war anschließend lange ungewiss.

Artist Impression der BLUE WORLD ONE, unverkennbar die Silhouette der GEMINI.
Artist Impression der BLUE WORLD ONE, unverkennbar die Silhouette der GEMINI. Foto: Blue World Voyages

2018 hatte nämlich ein ambitioniertes amerikanisches Start-Up mit dem Namen „Blue World Voyages“ begonnen, seine Pläne für ein Wellness-Kreuzfahrtschiff ausgerechnet mit einem Seitenriss der in BLUE WORLD ONE umbenannten GEMINI zu illustrieren. Blue World Voyages war 2017 gegründet worden und gab 2018 bekannt, ein neues Kreuzfahrt-Konzept auf den Markt bringen zu wollen: ein Schiff, das sich komplett Sport, Workout, Wellness und Fitness verschreiben würde. Ein „Fünf-Sterne-Schiff“ wollte man entsprechend umrüsten und dessen Kapazität durch Umbauten auf nur noch 350 Passagiere reduzieren. „We’ll send you home relaxed, recharged and refreshed“ lautet das Motto von Blue World Voyages. Das erste Schiff hatte bereits im Frühjahr 2018 an den Start gehen sollen (nun eben 2019), ein zweites und drittes würden 2022 folgen. Ein komplettes Deck sollte nur noch aus Sport- und Wellness-Einrichtungen bestehen, das größte Spa auf See wollte man einbauen, den größten Golfsimulator ebenfalls und überdies eine mobile Marina an Bord mit sich führen.

Doch statt in See zu stechen, begann Blue World Voyages im Juni 2018 gerade einmal mit einer Crowdfunding-Kampagne. „Passengers as Partners“ lautete das in der Kreuzfahrt-Branche noch vollkommen unübliche Geschäftsmodell, doch trotz aufmunternder Facebook-Updates im fast täglichen Rhythmus blieb die Nachfrage offenbar bescheiden. Immerhin soll eine einwöchige Kreuzfahrt mit der BLUE WORLD ONE laut dem Kleingedruckten in den FAQs der Reederei astronomische 3.500 US-$ kosten („plus port charges, airfare not included“). Der Kreis derer, die sich dies leisten können und/oder Teilhaber an dem Projekt werden wollen, ist wohl begrenzt. Ein Werbe-Video wurde produziert, das mit den Worten „Coming soon“ endete, Substanzielles hörte man in Sachen Blue World Voyages jedoch auch weiterhin nicht. Auch die Meldung in einem deutschen Kreuzfahrt-Portal, Blue World Voyages habe die ehemalige CELESTYAL NEFELI gekauft und baue sie nun für 26 Mio. US-$ zu einem „Ultra-Luxus-Kreuzfahrtschiff“ um, entbehrte im Dezember 2018 jeder Grundlage.

Zu diesem Zeitpunkt war der langjährige dänische Eigner Clipper Group nämlich schon wieder auf der Suche nach einer neuen Verwendung für die GEMINI. Und wieder einmal wurde sie als Wohnschiff gebraucht. Auf der Navantia-Werft in Cadiz unterzog die Carnival Cruise Line ihre CARNIVAL TRIUMPH im Frühjahr 2019 einem Großumbau zur CARNIVAL SUNRISE, da lag es nahe, die beteiligten Arbeiter und Subunternehmer in unmittelbarer Umgebung des „Patienten“ unterzubringen. Bis Mitte April 2019 blieb die GEMINI unweit der CARNIVAL TRIUMPH in Cadiz, danach sollte, wie zwischenzeitlich bekannt wurde, erneut Etstur das Schiff chartern. Denn bei Blue World Voyages steckte man offenbar noch immer in der Aufbauphase. „We are excited to announce our registration program for the owners residences“, hieß es zuletzt Anfang April. Mittlerweile hat man das Debüt des Projekts auf 2020 verschoben, doch auch daran möchte man nicht so recht glauben.

Und die kleine GEMINI? Verbringt den Sommer 2019 stattdessen ein zweites Mal unter der Führung von Cruise Management International in der Ägäis – an Bord fröhliche, zumeist türkische Passagiere, die ihre drei- oder viertägige Mittelmeer-Kreuzfahrt für die Hälfte dessen antreten können, was die internationale Konkurrenz auf ihren ungleich größeren Schiffen verlangt. (Etstur bietet seine viertätigen Kreuzfahrten ab 199 € pro Person in einer Innenkabine an.)

Trotzdem ist die Zukunft der GEMINI nach dem Sommer 2019 wieder einmal ungewiss. Branchenmeldungen zufolge will sich die Clipper Group von ihr sowie von ihrem zweiten Kreuzfahrtschiff SILVER DISCOVERER trennen. Und ein neuer Eigner möchte mit ziemlicher Sicherheit schnell Rendite sehen, wenn die ehemalige CROWN JEWEL einer Katze gleich einem weiteren ihrer mutmaßlich neun Leben entgegensieht. Günstige Kreuzfahrten wie unter Happy Cruises-, Celestyal- oder Etstur-Flagge dürften dann endgültig der Vergangenheit angehören. Wer das sympathische kleine Kreuzfahrtschiff diesen Sommer noch einmal als normalsterblicher Passagier erleben darf, sollte sich also glücklich schätzen.

Vorheriger ArtikelGrüne Innovation: Hurtigruten setzt auf Biogas
Nächster ArtikelAegean Seaways – ein griechisch-türkisches Abenteuer
Kai Ortel
Redaktionsmitglied bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Kreuz- und Fährschifffahrt.