Gegenwind – die internationale Kreuzfahrt-Industrie unter Beschuss

Kreuzfahrtschiffe in Venedig
n keiner Stadt haben die großen Kreuzfahrtschiffe mehr öffentlichen Gegenwind als in Venedig. Foto: Kai Ortel

Die internationale Kreuzfahrt-Industrie erhält Gegenwind. Anders lässt sich die immer schnellere Abfolge von Meldungen nicht erklären, mit denen vor allem in der Öffentlichkeit Kritik an ihren Schiffen geübt wird, die immer zahlreicher und immer größer werden und die damit für immer mehr Probleme in den Häfen und Zielorten sorgen.

Allein in den letzten vier Wochen jagte eine Negativ-Meldung die andere, und auch wenn die Ursachen jeweils unterschiedliche waren, ließen die Kommentare, die vor allem in den sozialen Netzwerken abgegeben wurden, kein gutes Haar an den Kreuzfahrtschiffen und ihren Betreibern. Am 29.05. kollidiert im Herzen Budapests das Flusskreuzfahrtschiff VIKING SIGYN mit einem lokalen Ausflugsboot; bei dem Unglück sterben mindestens 25 Menschen, drei Menschen werden noch vermisst. Der ukrainische Kapitän des Kreuzfahrtschiffes wird festgenommen, die Untersuchung dauert an. Am 31.05. läuft das Expeditionskreuzfahrtschiff GALAPAGOS MAJESTIC vor der Galapagos-Insel Santiago auf Grund und sinkt. Alle Passagiere und Crewmitglieder werden gerettet, das Unglück wirft aber Fragen auf nach der sicheren Navigation und der Umweltverträglichkeit von Schiffsreisen in diesem sensiblen Revier. Am 02.06. kollidiert in Venedig die MSC OPERA (65.591 BRZ) nach einem Ruderausfall mitten im Giudecca-Kanal mit dem Flusskreuzfahrtschiff RIVER COUNTESS. Fünf Personen werden verletzt; die Videos von der Havarie gehen um die Welt, zumal gerade in Venedig die Präsenz großer Kreuzfahrtschiffe bereits seit Jahren hoch umstritten ist. Die alte Debatte flammt wieder auf, es kommt zu Demonstrationen. Am 05.06. kollidiert das Flusskreuzfahrtschiff VIKING IDI mit einer Schleuse im niederbayerischen Riedenburg. Der Schiffsverkehr auf dem Main-Donau-Kanal muss für die Dauer der zweiwöchigen Reparaturarbeiten an der Schleuse gesperrt werden. Am 10.06. besetzen Klima-Aktivisten der Gruppe „Smash Cruiseshit“ im Seehafen Kiel den Kreuzfahrtanleger und hindern das amerikanische Kreuzfahrtschiff ZUIDERDAM (81.769 BRZ) für sechs Stunden am Auslaufen. Am 11.06. protestieren in Palma de Mallorca 20 Verbände gemeinsam und fordern, künftig nur noch ein Kreuzfahrtschiff pro Tag in den Hafen zu lassen; Palma weist Presseberichten zufolge nach Barcelona die zweithöchste durch Passagierschiffe verursachte Luftverschmutzung in ganz Europa auf.

Höhere Umweltauflagen, verstärkte Kontrollen

Dreifachanlauf im Geirangerfjord.
Dreifachanlauf im Geirangerfjord. 2026 sollen die norwegischen Fjorde emissions- und damit fast frei von Kreuzfahrtschiffen sein. Foto: Kai Ortel

Der bislang noch meist verbal ausgetragene Kampf gegen die Kreuzfahrt-Industrie verläuft dabei an mehreren Fronten. Zum einen stehen die Reedereien wegen der vermeintlichen Umweltunverträglichkeit ihrer Schiffe in der Kritik. Denn trotz der Tatsache, dass gerade die Kreuzfahrt-Industrie wegen ihrer Medienpräsenz eine Vorreiterrolle eingenommen hat, was innovative Umwelt-Technologien betrifft und dass Kreuzfahrtschiffe bekanntermaßen nur etwa 1% der Welthandelsflotte ausmachen, stehen Aida und Co. vor allem wegen ihrer Schiffsemissionen unter dem publikumswirksamen Dauerfeuer des NABU und anderer Umweltorganisationen. Dass die mächtige Carnival Corporation, Nr. 1 der Branche, Anfang Juni zu einer Strafzahlung von 20 Mio. US-$ verurteilt wurde, weil sie gegen Bewährungsauflagen aus einem Urteil von 2016 verstoßen hat, macht die Sache natürlich nicht besser. Bereits damals war Carnival zu einer Strafe von 40 Mio. US-$ verurteilt worden. Hier wie da ging es um das illegale Entsorgen von Lebensmittelabfällen, Plastikmüll und Grauwasser auf hoher See und in sensiblen Regionen wie Alaska. Doch auch in Sachen Emissionen wird inzwischen hart durchgegriffen. In Norwegen wurde im April dieses Jahres dem Kreuzfahrtschiff MAGELLAN ein Überschreiten der Schwefeloxid-Grenzwerte nachgewiesen. Die britische Reederei Cruise and Maritime Voyages (CMV) musste daraufhin 70.000 € Strafe zahlen, da sich die angelaufenen Häfen Flåm und Geiranger nicht nur in UNESCO-Naturerbe-Reservaten befanden, sondern auch in der ECA-Zone Nordsee/Südnorwegen. Der Vorfall spielt zudem den norwegischen Kommunen in die Hände, die dieses Jahr durchgesetzt haben, dass die Fjorde ab 2026 komplett emissionsfrei sein müssen. Selbst Kreuzfahrtschiffen mit Scrubbern oder LNG-Antrieb wird dann der Anlauf verwehrt sein. Wie die Branche darauf reagiert, ist noch völlig offen, über Brennstoffzellen werden nämlich selbst bis dahin nur die wenigsten neuen Kreuzfahrtschiffe verfügen. Die dänischen Behörden haben unterdessen ihre erste sog. „Sniffer-Drohne“ in Betrieb genommen. Das unbemannte Flugobjekt misst den Schwefelgehalt der Luft über dem Großen Belt autonom und kann so ebenfalls zeitnah maritime Umweltsünder ausfindig machen.

Overtourism

Menschenmassen an beliebten touristischen Stätten wie hier in den Ruinen des antiken Ephesus.
Overtourism – Menschenmassen an beliebten touristischen Stätten wie hier in den Ruinen des antiken Ephesus. Foto: Kai Ortel

Die zweite große Front, an der sich die Kreuzfahrt-Industrie Angriffen ausgesetzt sieht, ist die der immer größer werdenden Schiffe mit ihren zahlenmäßig immer stärker werdenden Passagierscharen, welche immer öfter die lokale Infrastruktur an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus bringen. Der Autor Wolfgang Meyer-Hentrich geht in seinem dieses Jahr erschienenen Buch „Wahnsinn Kreuzfahrt“ (Links Verlag) in gleich zehn Beispielen anschaulich auf das Phänomen ein. Das Problem Overtourism, auch Hypertourismus genannt, hat inzwischen auch der Branchenverband CLIA erkannt, viel unternommen hat er bisher allerdings nicht. Man wolle gemeinsame Lösungen mit den betroffenen Zielorten finden, heißt es etwas nebulös, z. B. die Ballung von Schiffsanläufen an bestimmten Wochentagen entzerren. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn Ferien- und Urlaubszeiten immer noch an den Wochenenden beginnen und viele Reedereien daher stoisch an ihren routinemäßigen 7-Tage-Kreuzfahrten festhalten. Weshalb es vor allem an den Samstagen und Sonntagen mancherorts zu Drei-, Vier- oder Fünffachanläufen großer Kreuzfahrtschiffe mit Passagierwechsel kommt. Und wohin die Einführung von Pro-Kopf-Steuern für Kreuzfahrtpassagiere führt, hat dieses Jahr das Beispiel Amsterdam gezeigt. Reedereien wie Cruise and Maritime Voyages und MSC haben ihre Anläufe in Amsterdam als Reaktion auf die Maßnahme kurzerhand gestrichen und laufen seitdem Rotterdam an. Tagesausflüge in die Grachtenstadt finden nun mit dem Bus statt. Das Problem wurde also nicht gelöst, sondern nur verlagert. Auch Zeebrügge will letzten Meldungen zufolge die Zahl der Kreuzfahrtschiffsanläufe senken, um Overtourism-Effekte in Brügge (ebenfalls eine UNESCO-Welterbestätte) zu vermeiden. Das nahegelegene Antwerpen dürfte sich freuen.

Geopolitische Minenfelder

Kreuzfahrtschiffe in Istanbul
In das Östliche Mittelmeer wie hier in Istanbul kehren die internationalen Kreuzfahrtschiffe nur langsam zurück. Foto: Kai Ortel

Das dritte große Minenfeld der Kreuzfahrt-Industrie ist das der Geopolitik. Ein Blick in die Kataloge der Reedereien zeigt, wie austauschbar die meisten Reiserouten inzwischen geworden sind, zumal im Vergleich zu vor zehn oder 20 Jahren. Die nordafrikanischen Staaten, wo Häfen wie Tanger, Tunis oder Port Said lange Zeit standardmäßig im Rahmen von Mittelmeer-Kreuzfahrten angelaufen wurden, leiden noch immer unter den Nachwirkungen des arabischen Frühlings bzw. dem Wieder-Erstarken radikaler Gruppen. Das Gleiche gilt für den Nahen Osten, wo Destinationen wie Haifa oder Beirut schon vor Jahren von den Landkarten der Reedereien verschwunden sind. Selbst die Kreuzfahrt-Destination Türkei erholt sich nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016 nur langsam, weshalb die Entwicklung der Kreuzfahrten im Östlichen Mittelmeer der im Westlichen noch immer hinterherhinkt. Dazu trägt auch das Russland-Embargo bei, das internationale Kreuzfahrten im Schwarzen Meer seit 2014 praktisch zum Erliegen gebracht hat. Im Persischen Golf dagegen hat Mitte Juni der vermutlich von Paramilitärs begangene Angriff auf einen japanischen und einen norwegischen Öltanker mittels Haftminen und/oder Torpedos aufhorchen lassen. Dubai und Abu Dhabi sind nicht weit, und wer Öltanker angreift, schreckt eines Tages wahrscheinlich auch vor Passagierschiffen nicht zurück. In Großbritannien wiederum droht mit einem ungeregelten Brexit das Wiederaufflammen der Feinseligkeiten an der nordirischen Grenze, und in den USA hat die Trump-Administration jüngst praktisch über Nacht die unter Präsident Barack Obama auf den Weg gebrachte Reiseregelung für Kuba gekippt, die es US-Bürgern noch bis vor kurzem erlaubte, das kommunistische Land im Rahmen von Kreuzfahrten zu besuchen. Dies alles dürfte zumindest kurzfristig zu einer weiteren Ballung der existierenden Kreuzfahrttonnage in den altbekannten krisensicheren Häfen in den USA, in der Karibik und in Westeuropa führen.

Grenzen des Wachstums?

Dabei möchte man den Reedereien am liebsten zurufen: Baut endlich kleinere Schiffe! Sucht euch neue Häfen! Hört auf die Leute vor Ort! Aber so einfach ist es leider nicht, denn natürlich geht es um Geld, viel Geld. Die Umsatzrendite der in Aktienbesitz befindlichen Carnival Corporation lag 2018 bei 16,7%, die von Royal Caribbean Cruises gar bei 19,1%. Die Anteilseigner machen mit der Kreuzfahrt-Industrie in ihrer jetzigen Form also stattliche Profite. Nicht zuletzt deshalb durfte sie jahrzehntelang unter großem Beifall ein kontinuierliches Größer – Schöner – Besser zelebrieren, was die Branche in einem nicht geringen Maße kritikresistent gemacht hat. Dieses Gebaren hat ihr nun erstmals Gegenwind in Form von massiver negativer Berichterstattung und Protesten vor Ort eingebracht. Auch Alexis Papathanassis, Professor für Kreuzfahrt-Management und Tourismus an der Hochschule Bremerhaven, wirft der Branche in einem NDR-Interview vom 22.06. mangelnde Transparenz vor. Darüber hinaus rechnet er für den deutschen Kreuzfahrtmarkt in sieben bis acht Jahren mit einer Stagnation – ein Wort, das man in der maritimen Touristik bisher noch so gut wie nie gehört hat. Wenn aber demnächst weitere Häfen Ernst machen mit Anlaufbeschränkungen, wenn es plötzlich nicht mehr chic ist, auf Kreuzfahrt zu gehen, sondern im Gegenteil höchst „uncool“, und wenn geopolitische Konflikte nicht bald entschärft werden, sondern eskalieren, sollten sich die Reedereien und Verbände der internationalen Kreuzfahrt langsam einmal ernsthaft mit möglichen Grenzen des Wachstums ihrer Boom-Branche auseinandersetzen. Ein bisschen Gegenwind mag auf dem Weg dorthin ganz gut tun.

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Kai Ortel
Redaktionsmitglied bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Kreuz- und Fährschifffahrt.