Aktivitäten Pekings werden Bedeutung der Seerouten steigern
Das weltweit wohl größte Infrastrukturprojekt des 21. Jhdts., Chinas „Neue Seidenstraßen“-Initiative, seit 2016 besser bekannt unter der Bezeichnung „One Belt, One Road“-Initiative scheint auf Grund zahlreicher vorliegender Anzeichen nach dem Willen von Chinas Machthabern – allen voran seinem Hauptinitiator und Chefüberwacher Staatspräsident Xi Jinping – zu einem weltumfassenden Großprojekt zu werden. Denn geopolitisch, aber auch militärisch meldet China immer deutlicher seine Ansprüche als Supermacht an, deren Volkswirtschaft um 2030 herum jene der USA überholen dürfte. Wichtigster Teilaspekt der Bestrebungen Chinas ist die Sicherung von Rohstoffen und deren Quellen weltweit.
Die in den kommenden Jahren geplanten Infrastrukturprojekte unter chinesischer Führung in etwa 100 Ländern weltweit in der Höhe von etwa einer Billion (!) Euro erfordern bessere Verbindungen des Reiches der Mitte mit dem Rest der Welt – über Fernstraßen, Eisenbahnen, vor allem aber über Seewege. Letztere erfordern den Ausbau riesiger Containerhäfen an Chinas Küsten – wobei Shanghai bereits der größte seiner Art weltweit geworden ist – (siehe VEUS-Shipping News über Shanghai und Piräus vom 4. Juli 2019).
Angesichts dieser Entwicklung sieht der englische Historiker Peter Frankopan in den neuen Seidenstraßen zu Land und zur See das Aufkommen eines „neuen zentralen Nervensystems der Welt“. Den entlang oder am Ende dieser Seitenstraßenrouten befindlichen Ländern würde die Zukunft gehören – man lebe bereits jetzt in einem „asiatischen Jahrhundert“. Alle Daten weisen Frankopan zufolge darauf hin, dass Asien die weltweite wirtschaftliche Vorherrschaft zurückgewinnen würde, die es einst vor der industriellen Revolution in Europa und den USA inne hatte. Inzwischen haben 126 Länder und 29 internationale Organisationen Kooperationsabkommen mit der „One Belt, One Road“-Initiative (OBOR) unterzeichnet. Seit 2013, dem Start der damals noch „Neue Seidenstraßen“ genannten Initiative hat das Handelsvolumen unter den betreffenden Ländern einen Betrag von über sechs Billionen USD (!) erreicht.
Es war unvermeidlich, dass diese atemberaubende chinesische Initiative auch Misstrauen in manchen Ländern ausgelöst hat, vor allem in jenen europäischen, die „auf Augenhöhe“ mit den Chinesen Handelsaustausch betreiben wollen. Andere Länder laufen Gefahr, dass ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von China zunimmt, so u.a. im Falle finanzschwacher Staaten in Südost- und Ostmitteleuropa, parallel dazu auch die politische Abhängigkeit. Beispiele für letzteres sind Griechenland und Ungarn, die inzwischen in Menschenrechtsfragen die Position Chinas unterstützen, die sich von der europäischen Haltung klar unterscheidet. Damit ist in der EU ein „chinesischer Spaltpilz“ aktiv geworden.
Aber das 1,4 Mrd. Einwohner zählende China muss aufpassen, dass seine eigenen Wirtschaftsprobleme seine ehrgeizige OBOR-Ziele nicht behindern. Da sind einmal der aktuelle Handelsstreit mit den USA, ein wachsender Schuldenberg (laut Studie des Institute of Internationale Finance hatte China im ersten Quartal 2019 Schulden im Ausmaß von 40 Bill. USD oder 35,7 Bill. Euro, was 303 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes entsprach. 2018 lag der Prozentsatz im ersten Quartal noch bei 287 Prozent, vor der globalen Finanzkrise 2008 bei 164 Prozent), weiter steigende Immobilienpreise, Währungsschwankungen des chinesischen Yuan, schnelle Urbanisierung und rasche Überalterung der Bevölkerung. Alles Probleme, die auch anderen asiatischen Ländern zu schaffen machen.
In der Folge die wichtigsten Stoßrichtungen von Chinas OBOR-Initiative:
Hauptstossrichtung EUROPA
Insbesondere Südosteuropa – über mehrere Landrouten und die wichtige Seeroute um Südasien, das Rote Meer, den Suezkanal und das östliche Mittelmeer. Europa soll dadurch näher an China heranrücken im Interesse einer vermehrten und rascheren Anlieferung chinesischer Produkte. In Billiglohnländern wie z.B. Weissrussland oder Kasachstan plant China den Bau von Fabriken und Fertigungsstraßen. Die EU sieht in ihrer neuen China-Strategie das Reich der Mitte zwar als Partner, aber auch als wirtschaftlichen Konkurrenten und Rivalen.
Stossrichtung SO- und SÜDASIEN
In Südostasien und den Ländern um das Südchinesische Meer wächst die Kritik an drohender und damit möglicher politischer Abhängigkeit von China, dazu kommen noch Territorialdispute mit China. Die USA betrachten Indien offenbar als ein Gegengewicht zur chinesischen Expansion. Vom Krisenschauplatz Straße von Hormus (Zugang zum Persischen Golf) hat China ein anderes Bild als die auf Grund eigener Ölvorkommen nicht mehr so stark von Nahost-Öl abhängigen USA. China geht es aber sehr wohl um den Zugang zu einer Hälfte der weltweit bekannten Erdölreserven und Produktionskapazitäten und hat daher kein Interesse an militärischen Auseinandersetzungen in dieser Region. Deswegen versucht Peking, seine Beziehungen zum Iran, sowie zu den Golfmonarchien rund um Saudi-Arabien auszubauen und den Schiffsverkehr durch die nahegelegene Straße von Hormus von den von ihm im Südwesten Pakistans eingerichteten Hafen Gwadar genau zu beobachten. Langfristiges Ziel Chinas ist es, Öl und Gas nicht mehr per Schiff, sondern direkt über Pipelines an Land zu beziehen, wodurch der Iran wegen seiner Handelsrouten nach Zentralasien geopolitisch in den Augen Chinas eine Schlüsselrolle spielen wird – als Drehscheibe für die Strategie, durch den Bau von Häfen, Verkehrslinien und Pipelines in Eurasien an Einfluss zu gewinnen. Dazu kommt noch, dass das benachbarte Afghanistan über riesige Bodenschätze verfügt, um die das Wettrennen trotz der Kämpfe im Land bereits eingesetzt hat.
Stossrichtung AFRIKA
erfolgt über eine von der Seeroute um Südasien herum abzweigende Route. Einige Länder, vor allem in Nordafrika waren bereits Teil der historischen Seidenstraße. Seit vielen Jahren investiert Peking ohne Bedingungen Milliarden in Afrika und treibt den Ausbau der Infrastruktur im Interesse der Sicherung von Rohstoffbezügen voran – unter Maßgabe, dass diese Investitionen einmal zurückgezahlt werden. Mit dieser Taktik haben die Chinesen in Afrika schon mehr erreicht als die Industrieländer mit ihrer – letztlich misslungenen – Entwicklungshilfe. Ein besonderes Auge hat China auf den kenianischen Hafen Mombasa geworfen. In Djibouti am Horn von Afrika hat China seine erste Militärbasis im Ausland errichtet, weitere dürften bald folgen. Es geht dabei um die Schutz chinesischer Wirtschaftsinteressen und seiner Investitionen, aber auch um Anti-Piraterieaktionen.
Stossrichtung AUSTRALIEN UND PAZIFIK
China ist in den letzten Jahren zum größten Wirtschaftspartner Australiens aufgestiegen. Um diese Position nicht zu gefährden, wurde und wird von politischen Kreisen in Canberra Kritik an Ministern geübt, die sich abfällig über den Aufstieg der Macht Chinas geäußert hatten. Peking hat in den vergangenen Jahren seine Präsenz auch in den pazifischen Inselstaaten kräftig ausgebaut: Fidschi, Vanuatu, Samoa, Mikronesien, die Cook-Inseln, sowie Tonga und Niue sind bereits Teil der OBOR-Initiative.
Stossrichtung SÜDAMERIKA UND KARIBIK
Seit der Präsentation der OBOR-Initiative sind auch jenseits des Pazifik Begehrlichkeiten gewachsen. Seit Jahren ist China ein führender Handelspartner von Argentinien, Chile, Peru und Brasilien, wobei die Rohstoffe des Kontinents das Hauptinteresse Pekings erregten: Getreide, Holz, Sojabohnen, Diamanten, Erdöl und Bergbauprodukte. Südamerika soll zu einer Art „Speisekammer“ der Chinesen werden. Brasiliens Agrarindustrie ist eine der wenigen Branchen des Landes, die profitabel arbeiten und dazu weite Flächen, darunter auf Kosten der Amazonas-Urwälder benötigen. Sehr zum Missfallen der USA ist das Interesse an einer Teilhabe an der OBOR-Initiative auch bei mittelamerikanischen und Karibik-Staaten groß. Panama ist als eines der ersten Länder Mittelamerikas der Initiative beigetreten. In Konkurrenz zu dem von den USA mehr oder weniger kontrollierten Panama-Kanal überlegt China den Bau eines neuen Kanals zwischen Atlantik und Pazifik in Nicaragua unter Ausnutzung des Managua-Sees. Als „trockene Alternative“ soll im Norden Kolumbiens eine Bahn zwischen den beiden Ozeanküsten gebaut werden.
Stossrichtung ARKTIS
Je mehr die Erderwärmung die Eismassen Grönlands hinwegschmelzen lässt und leichteren Zugang zu unterirdisch lagernden Ressourcen gewährt, desto bedeutender – und begehrlicher- wird die über 2 Mill. qkm große Insel in der Arktis. 2018 erklärte sich China zu einem „arktischen“ Land, obwohl Peking vom Nordpol über 5000 km Luftlinie trennen, und beanspruchte ein Mitspracherecht in Angelegenheiten des äußersten Nordens der Erde. Denn auch Chinas Küsten werden von den Folgen schmelzender Eismassen auf den Polkappen betroffen sein. Peking will über die „polare Seidenstraße“ Waren schneller nach Europa verschiffen, zunächst über die Seeroute entlang der russischen Nordküste, langfristig über die transpolare Seeroute quer durch die Arktis. Umkämpft sind die dort registrierten enormen Öl-, Gas-, Mineralien- und Fischressourcen. Das autonom regierte, aber zu Dänemark gehörende Grönland ist wirtschaftlich eher schwach und zeigt daher an ausländischen, darunter auch chinesischen Investitionen: In der Kvanefjeld-Mine im Süden der Insel will ein australisch-chinesisches Joint Venture u.a. nach seltenen Erden schürfen. Schätzungen zufolge lagern unter Grönland weltweit ein Drittel dieser wertvollen Rohstoffe. Die aus 17 Metallen bestehende Gruppe ist vor allem im Hightech-Bereich für die Automobil- und Flugzeugindustrie, für die Computer- und Smartphone-.Produktion wichtig. Bei seltenen Erden hat China derzeit eine Monopolstellung inne (über 30 Prozent der weltweit erschlossenen Vorkommen) Nicht zufällig haben die USA diese Metalle nicht auf ihre Zollliste für Importe auch China gesetzt – was sie zum wichtigsten Druckmittel Chinas im Handelsstreit mit den USA gemacht hat. Washington will künftig mehr in die Ausbeutung seltener Metalle auf Grönland investieren – was einer der Gründe für seinen jüngst geäußerten Wunsch nach „Kauf“ der Insel von Dänemark gewesen sein dürfte.