Neue Transportrouten, neue Häfen und neue Schifffahrtslinien
Die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres, des weltgrößten Binnengewässers zwischen Kaukasus und Zentralasien (Russland, Kasachstan, Aserbaidschan, Iran und Turkmenien) haben sich nach 25-jährigen Bemühungen in der ersten Jahreshälfte 2019 über die Aufteilung des Bodens des Gewässers in nationale Regionen geeinigt, ebenso, dass die Gewässer darüber unterschiedlichen Rechtssystemen zugeordnet werden.
Demnach gibt es, sobald die Ratifizierung des Abkommens durch alle Anrainer abgeschlossen sein wird, territoriale Gewässer mit einer 25 Meilen breiten Wirtschaftszone vor der Küste, sowie einen internationalen Bereich. Damit eröffnen sich neue wirtschaftliche Perspektiven im Bereich dieses Gewässers, vor allem für die weitere Nutzung der hiesigen enormen Gas- und Ölvorräte, insbesondere vor den Küsten Kasachstans und Turkmeniens. Das Kashagan-Ölfeld, eines der größten der Welt, soll durch ein internationales Konsortium entwickelt werden.
Aber auch auf der Oberfläche des Meeres eröffnet das neue Abkommen neue Aussichten, wie der Stellvertretende Außenminister Kasachstans, Roman Vassilenko, hervorhob. Damit können neue Transportrouten nicht nur unter dem Wasser (Pipelines), sondern auch solche über dem Wasser (Schifffahrtsrouten) eingerichtet werden, was zu einem Zusammenrücken Zentralasiens mit der Kaukasus-Region, den Ländern Georgien, Aserbaidschan, Armenien, Türkei und darüber hinaus mit Europa zum gegenseitigen Vorteil führen wird.
Besonders auf Kasachstan kommen neue Aufgaben hinzu, wie Vassilenko unterstrich. Nachdem das Land seit seiner Unabhängigkeit bereits 2500 km neue Bahnlinien gebaut hat und seither insgesamt 30 Mrd. USD in Verkehrs- und Entwicklungsprojekte investiert hat, werden zusätzlich 9,4 Mrd. USD für weitere Projekte benötigt: Sog. „Dry Ports“ (Umschlagplätze) und „Wet Ports“ (Häfen am Kaspischen Meer).
An dem Gewässer entstehen jetzt neue Häfen, so am Kasachischen Ostufer Kuryk etwa 70 km südlich von dem bereits bestehenden Aktau. In Kuryk sollen aus China kommende Container umgeschlagen werden, die dann über den sog. „Mittleren Korridor“ (Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien, Türkei) nach Europa gehen sollen. Beide Häfen werden zusammen über eine Kapazität von 26 Mill. t jährlich verfügen, wovon Aktau bisher nur 12 Mill. t bewältigen konnte – also zusammen mehr als doppelt so große Umschlagskapazität in Zukunft.
Bisher gab es nur eine Verbindung für den Güterverkehr über das Kaspische Meer hinweg: eine Fährverbindung für komplette Züge von Aktau nach dem rund 180 km entfernten Baku in Aserbaidschan. Im April 2019 wurde eine neue „Feeder-Line“ eröffnet, wobei Container von der Schiene direkt auf Schiffe verladen werden. In Baku erfolgt die Umladung vom Schiff wieder auf die Schiene und auf ihr zu den georgischen Schwarzmeerhäfen Batumi und Poti und von dort über das Schwarze Meer an ihre Bestimmungsorte in Europa oder der übrigen Welt.
Die Vorteile dieser neuen Verbindung zu Land und zur See sind eine Ersparnis an Geld und Ressourcen. Statt bis dahin benötigte drei Wochen sind Eisenbahnwagen jetzt nach nur drei Tagen zurück in Khorgas an der kasachisch-chinesischen Grenze und können neu beladen werden. Seit Eröffnung gab es eine Fahrt pro Woche auf dieser „Feeder-Line“ – bei steigendem Güteraufkommen soll die Transportfrequenz erhöht werden.
In den kommenden Jahren wird eine deutliche Steigerung des Güter-Schiffsverkehrs über das Kaspische Meer angesichts der preisgünstigen Transporte zu Wasser erwartet. Die Bahnlinie Baku – Kars (in der Türkei) ist erst vor Kurzem erneuert worden, so dass Gütertransporte von Europa nach Zentralasien und umgekehrt über eine weitere direkte Route verfügen und die Märkte im Kaukasus und in Zentralasien für die Wirtschaft noch interessanter werden.
In allen Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres werden jetzt Häfen gebaut und ausgebaut. Es sind dies außer dem erwähnten Baku (Aserbaidschan) und den Häfen Aktau und Kuryk noch Atyrau (am Nordufer des Meeres, alle drei in Kasachstan), Astrachan (an der Wolfgamündung) und Machatschkala (Autonome Republik Dagestan), beide in Russland, Noshar (Iran), sowie Ekrem und Turkmenbashi (in Turkmenistan). In Aserbaidschan entsteht nördlich von Baku ein neuer Chemiekomplex direkt am Meer. Überall hoffen Wirtschaftsbosse und Unternehmen auf neue Absatzmärkte in Zentralasien, sowie auf ruhige See und freie Fahrt auf dem Kaspischen Meer.