Zum ersten Mal seit langer Zeit will eine Fährreederei dieses Jahr wieder das griechische Festland mit der türkischen Westküste verbinden. Ein Seeweg mitten durch die Ägäis, was läge da näher als der Name „Aegean Seaways“? Doch wie so oft steckt auch hier der Teufel im Detail, denn Aegean Seaways erzählt die (unvollendete) Geschichte eines griechisch-türkischen Abenteuers.
Alles begann bereits 2011. Auf Expertenebene wurden Gespräche über die Aufnahme eines direkten Fährverkehrs zwischen Griechenland und der Türkei geführt, als Häfen wurde Thessaloniki und Izmir ausgewählt. Zunächst scheiterte des Vorhaben jedoch an zu hohen Hafengebühren auf türkischer Seite, so der Bürgermeister Thessalonikis, Yiannis Boutakis. Bis 2016 dauerte es, ehe das Thema erneut auf die Agenda kam. Ein Treffen der Verkehrsminister beider Länder in Ankara resultierte in einem Memorandum, dem zufolge die neue Linie nun Anfang 2017 an den Start gehen sollte. Daran nahmen auch Repräsentanten der griechischen Fährreederei Hellenic Seaways teil, die bei der Eröffnung der Linie offenbar eine tragende Rolle spielen sollte.
Doch dann passierte wieder erstmal nichts. Stattdessen bedurfte es eines weiteren Treffens auf höchster politischer Ebene, den Stein ins Rollen zu bringen. Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras bereise die Türkei Anfang Februar 2019 im Rahmen eines zweitägigen Staatsbesuches. Ziel der Gespräche mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan war die langfristige Verdopplung des Handelsvolumens zwischen beiden Ländern. Voraussetzung dafür: eine direkte Eisenbahnverbindung zwischen Thessaloniki und Istanbul sowie die bereits erwähnte direkte Fährlinie zwischen Griechenland und der Türkei.
Um die Beteiligung von Hellenic Seaways war es zu diesem Zeitpunkt still geworden, stattdessen trat nun Aegean Ferry Lines auf den Plan, eine Tochtergesellschaft des in Thessaloniki ansässigen Schifffahrtsagenten und Frachtdienstleisters Aegean Seaways. Der war bisher vor allem für Transporte zwischen Griechenland (Thessaloniki und Piräus) und Zypern (Limassol) bekannt; eigene Schiffe besaß Aegean Seaways nicht, Erfahrungen im Fährsektor oder eine Fähre schon gar nicht. Stattdessen tauchte auf der bereits im Januar 2019 angelegten Facebook-Seite von Aegean Ferry Lines eine Fotomontage der EUROPEAN EXPRESS auf, einer 1974 in Japan gebauten Fähre, die seit November 2014 beschäftigungslos in verschiedenen griechischen Häfen aufgelegen hatte. Dumm nur, dass just jene EUROPEAN EXPRESS keine zwei Wochen später, am 25.01.2019 nämlich, zum Abwracken verkauft wurde. In der Türkei wohlgemerkt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Außerdem gab es plötzlich Streit um den Reedereinamen. „Aegean Ferry Lines“ hatte zu viel Ähnlichkeit mit „Aegean Speed Lines“, einer anderen griechischen Reederei, die mit der SPEEDRUNNER III einen Schnellfährdienst zwischen Piräus und den Kykladen unterhielt. Am 22.02. wählte man daher „Aegean Seaways“ als Bezeichnung für die avisierte Türkei-Fährlinie. Seitdem ist der Hafenagent für die Zyperntransporte über die Seite www.aegeanseaways.gr zu erreichen, die Fährlinie hingegen über die Seite www.aegeanseaways.com. Darüber, dass es eine Querverbindung zwischen beiden Firmen gibt, wird auf keiner der Seiten hingewiesen.
Trotzdem war die neue Fährlinie im März 2019 endlich spruchreif. „Auf uns hat man jahrelang gewartet“, heißt es seit dem 14.03. auf der Webseite der Reederei, welcher der türkische Geschäftsmann Bülent Ipek vorsitzt. (Auf griechischer Seite wird Aegean Seaways von Stefanos Karakanis und dessen Firma Stefmar Ltd. vertreten.) Am 02.06. wollte man nun an den Start gehen, von den Häfen Thessaloniki und Izmir war nun allerdings nicht mehr die Rede. Stattdessen sollte die Ägäis-Fährlinie zwischen Lavrion und Çeşme eröffnet werden, einer Strecke von ca. 125 Seemeilen, die den geographisch kürzesten Seeweg zwischen beiden Ländern darstellt. Hauptziel immer noch: die Verkürzung der Transportwege zwischen Griechenland und der Türkei, die bisher quer durch Nordgriechenland und am Marmarameer entlang geführt hatten. Auch die bisher bestehenden Wartezeiten an der Grenze sollte die neue Fährlinie umgehen helfen.
Am 16.03. ging nach der internationalen auch die griechische Facebook-Seite von Aegean Seaways online, und auch einen Fahrplan gab es nun: Tägliche Abfahrten mit einer Überfahrtsdauer von sieben Stunden wollte man anbieten. Abfahrt in Lavrion um 18 Uhr, Ankunft in Çeşme um 1 Uhr nachts, Rückfahrt von Çeşme um 7 Uhr morgens und Rückkehr nach Lavrion um 14 Uhr. Das mochte für Frachtkunden praktisch sein, als Tourist will man aber eher ungern nachts um 1 Uhr irgendwo ankommen, wo es zu spät für jede Art der Weiterfahrt oder für ein Eintreffen im Hotel ist. Und was Aegean Seaways noch immer nicht vorweisen konnte, war ein Schiff.
Trotzdem bot man im Online-Buchungssystem die Möglichkeit einer Kabinenbuchung an, was auf eine Nachtfähre schließen ließ. Darüber hinaus brauchte man zum Einhalten des publizierten Fahrplans ein Fährschiff mit einer Dienstgeschwindigkeit von mindestens 18 Knoten. Leider blieb unsere diesbezügliche E-Mail-Anfrage an die Reederei vom 29.03. unbeantwortet. Eine solide Reiseplanung ließ sich mit diesen Angaben jedenfalls nicht machen, und genauso mag es auch anderen Urlaubern gegangen sein, die sich über diesem Fahrplan verwundert die Augen gerieben haben dürften. Zwar wechselten sich auf der Webseite wie auf der Facebook-Präsenz von Aegean Seaways munter diverse Bilder von Mittelmeer- und anderen Fähren ab, die in Sachen Bordeinrichtungen das Blaue vom Himmel versprachen. In Schifffahrtskreisen herrschte jedoch Ratlosigkeit, mit welcher Tonnage genau die Reederei an den Start gehen wollte. Eine Heckaufnahme der Jadrolinija-Fähre PETAR HEKTOROVIC legte eine kleine Tagesfähre nahe, ein Bild der SPEEDRUNNER III wiederum eine Monohull-Schnellfähre. Über eine signifikante Frachtkapazität verfügte jedoch keines von beiden Schiffen, ebensowenig über Kabinen.
Gelüftet wurde das Rätsel schließlich am 20.05., keine zwei Wochen vor dem geplanten Start der neuen Fährlinie am 02.06. Aegean Seaways hatte sich zur Charter der KAUNAS entschlossen, einer 1989 in der DDR gebauten Eisenbahngüterfähre, die seit 2015 für UkrFerry im Schwarzen Meer zwischen dem ukrainischen Chornomorsk, den georgischen Häfen Batumi und Poti sowie Istanbul und dem rumänischen Konstanza verkehrte. Bereits 1993 war die KAUNAS umgebaut worden, damit sie mehr Passagiere befördern konnte, ein richtiges Passagierschiff ist aus ihr daraus jedoch nicht geworden. Nach weiteren Umbauten liegt ihre Passagierkapazität aktuell bei 250 Personen, was aber immer noch weit entfernt ist von den 1.000, die Aegean Seaways ursprünglich angekündigt hatte. Und es gibt noch ein zweites Problem. Die KAUNAS mag für den sicheren Seetransport sowjetischer Kampfpanzer ausgelegt sein, ihre Höchstgeschwindigkeit liegt aber bei mageren 16,5 Knoten; laut Marine Traffic kommt sie sogar nicht mehr über 15 Knoten hinaus. Der ehrgeizige Fahrplan von Aegean Seaways mit täglichen Abfahrten ab beiden Häfen ist damit nicht zu halten, Die griechisch-türkische Reederei präsentierte daher zusammen mit dem Schiff am 20.05. überraschend auch einen neuen Fahrplan: Alle zwei Tage soll die KAUNAS nun Lavrion mit Çeşme verbinden. Die Überfahrtsdauer beträgt (optimistische) acht statt sieben Stunden. Abfahrt ab beiden Häfen ist um 22 Uhr, Ankunft um 6 Uhr am nächsten Morgen. An welchen Tagen genau die KAUNAS ab welchem Hafen verkehrt, verrät die Website der Reederei leider nicht, aber vielleicht werden diese Daten ja noch nachgereicht. Denn noch etwas steht fest: Der 02.06. als Starttermin ist ebensowenig zu halten, weil die KAUNAS noch bis zum 14.06. im Fahrplan ihrer aktuellen ukrainischen Reederei steht. Und dann soll das Schiff vor seinem Einsatz bei Aegean Seaways ja auch noch im türkischen Haydarpaşa in die Werft. Zuletzt war daher von einem Start der Linie Lavrion – Çeşme „Ende Juni“ die Rede. Bis dahin jedoch dürften viele potentielle Türkei-Reisende endgültig andere Pläne gemacht haben. Vielleicht sind deshalb auch die anfangs von Aegean Seaways versprochenen kostenlosen Bus-Shuttles zwischen Patras und Lavrion bzw. Çeşme und Izmir wieder verschwunden.
Wie das griechisch-türkische Abenteuer Aegean Seaways ausgeht, ist im Moment noch ungewiss. Aber vielleicht werden wir ja einen Eindruck davon bekommen, wenn wir vor Ort sind. Der Autor dieser Zeilen tritt im Juli in Çeşme eine Kreuzfahrt an, zu der die Anreise mit der neuen Fährlinie tatsächlich sehr gut gepasst hätte. Allein: Die vielen Unwägbarkeiten, welche Aegean Seaways bis zum Start umgeben haben, machten eine vernünftige Reiseplanung unmöglich. Doch vielleicht bekomme ich sie ja in dem türkischen Hafen zumindest zu Gesicht – die 30 Jahre alte ehemalige DDR-Eisenbahngüterfähre, die sich anschickt, als Passagierschiff neue Brücken zwischen der Türkei und dem Nachbarland Griechenland zu schlagen. Wünschen wir der KAUNAS allzeit Gute Fahrt auf dieser Mission!