Venedig im Vogalonga-Rausch
Venedig ist fast wie Nachhausekommen. So häufig war ich jetzt schon hier, um bei meinem liebsten Kapitän an Bord zu gehen. Dieses Mal holte er mich an einem Sonntagmorgen im Juni am Shuttlebus vom Flughafen Treviso ab, es sollte nahezu unmittelbar in ein „ruhiges, idyllisches Restaurant direkt am Kanal mit Essen wie bei einer venezianischen Familie zu Hause“ gehen. Das Essen war tatsächlich wie versprochen. Die Atmosphäre… allerdings ganz anders…
Schuld daran war die Vogalonga, eine 30 Kilometer lange Ruderregatta, die am Markusplatz ihren Ausgangs- und Endpunkt hat. Der Schiffsagent hatte es in einem Nebensatz erwähnt, aber wir hatten keine Ahnung was uns erwartet.
Bei 28° ächzte die schöne alte Dame Venezia unter der Wärme und den Touristenmassen. Der Weg zur Trattoria da’a Marisa war anstrengend. Mein liebster Kapitän war noch zügiger unterwegs als sonst, um dem Trubel zu entgehen: „Bei der Marisa im Cannaregio Viertel wird alles ganz anders werden – ruhig und lauschig, Du wirst sehen.“ Nichts sah ich zunächst – vor lauter Menschen. Doch dann: Boote, wohin das Auge schaute. Unfassbar viele Boote: Kajaks, Kanus, Gondeln, Ruderboote, Drachenboote, Stand-up-Paddler – soweit das Auge reichte.
Die Kanäle waren gesäumt von Menschen, die Restaurants und Trattorien direkt an der Regattastrecke waren bis auf den letzten Platz belegt. Jetzt wurde uns klar, warum der italienische Offizier von Bord aus mehrere hartnäckige Anläufe und echte italienische Überredungskunst am Telefon gebraucht hatte, um einen Tisch für zwei zu reservieren.
In der Trattoria da’a Marisa hatte man sämtliches Mobiliar nach draußen geräumt. Zur Vogalonga will natürlich niemand drinnen sitzen! Mir kamen Zweifel, weil wirklich jeder Platz belegt schien, doch vorne, direkt am Wasser, war tatsächlich noch ein Tischchen für zwei Personen frei. Ja, der war für uns! Welch ein Logenplatz! Und das Spektakel auf dem Wasser hatte eben erst begonnen.
Die Ruderregatta Vogalonga, was so viel wie „langes Ruder“ bedeutet, gibt es bereits seit 44 Jahren. Die Regatta startet am Markusplatz, führt über den Canale Grande über Burano und Murano zurück nach Venedig. 2019 nahmen, wie wir später erfuhren, etwa 6.000 Teilnehmer aus aller Herren Länder mit fast 1.500 Booten teil – ein irres Spektakel. Wir saßen direkt vor der Brücke „Tre Archi“, wo also einem Nadelöhr gleich alle Boote zwei kleine und einen großen Brückenbogen passieren mussten. Die Besatzungen von zwei Feuerwehrbooten, mit Bootshaken und Trillerpfeifen bewehrt, und mehrere Schwimmer mit Helmen versuchten Ordnung in das Paddel-Chaos zu bringen. Wie gesagt, ein irres Spektakel.
Eine Unterhaltung war kaum möglich, zumal unsere Tischnachbarn eine sehr (!) lebhafte und fröhliche siebenköpfige Gruppe von Venezianern war. Überhaupt waren alle Tische mit Einheimischen besetzt. Für den Tag des Vogalonga seien die Restaurants auf Monate hinweg ausgebucht. Umso mehr wussten wir unseren durch den italienischen Offizier „erkämpften“ Tisch zu schätzen und das war wohl auch der Grund, weswegen wir von unseren Tischnachbarn am Ende des ausgiebigen hervorragenden Mals mit Handschlag verabschiedet wurden.
Das Essen in der Trattoria da’a Marisa war ausgezeichnet. Man serviert dort ausschließlich Fisch. Es gibt keine Karte, alle Gäste bekommen das gleiche Menü zum Festpreis von 40 Euro, inklusive Wein, Wasser und Kaffee. Und natürlich besteht das Menü, wie es sich für Italien gehört aus einer Vorspeise (Antipasti), einem ersten Gang (Primo), einem zweiten Gang (Segundo) und einem Dessert (Dolce).
Sarde en Saor (süß-sauer eingelegte Sardinen mit Zwiebeln, Rosinen und Pinienkernen), Baccalà mantecato (feines Stockfischmus auf knusprigem Brot), überbackene Miesmuscheln, roh marinierter Fisch, Pulpo in Umido (Mini-Kraken in Tomatensauce butterweich geschmort), Polenta… all das liest sich schon wie das gesamte Menü. Aber nein, das waren erst die Antipasti. Weiter ging es mit einer herrlichen Fisch-Garnelen-Lasagne. Der Höhepunkt des Mahls war dann eine große Platte „Frittura mista“ mit frittierter Seezunge, zarten Tintenfischringen und Garnelen. Eine feine Mascarpone Creme war das süße Finale dieses herrlichen Sonntagsessen wie bei „La Mamma“ zu Hause.
Es gibt ja Essen, an die man sich ein Leben lang erinnert. Das in der Trattoria da’a Marisa wird ganz sicher dazu gehören. Nicht wegen des angekündigten „lauschigen Essens zu zweit“, aber ganz sicher wegen der guten Speisen und des umwerfenden Spektakels auf dem Wasser. „Vogalonga in Venedig“… muss man mal gesehen haben!