Wohin führt die CO2-Neutralität die Schifffahrt?
Für Otto von Bismarck, den ersten Reichskanzler, war die Politik die Kunst des Möglichen. Betrachtet man die Beschlüsse bedeutender Konferenzen zum weltweiten Umweltschutz, so sind die damit fixierten Ziele so weit vom Möglichen entfernt, dass die Frage erlaubt sein muss, ob das noch Politik ist. Ziele zu formulieren ist sicherlich hilfreich, um Entwicklungen voranzutreiben, doch nutzlos, wenn nicht gleichzeitig die Machbarkeit betrachtet wird.
Da hilft auch die Variante des Bismarck-Wortes von Lothar de Maiziere nicht weiter, der sagte, „Politik ist offenbar die Kunst des Machbaren und nicht unbedingt des Wünschenswerten“. Gewünscht wird von den Politikern ohnehin zu viel – meist leider, ohne zunächst die Chancen einer Umsetzbarkeit zu prüfen. Das gilt auch für die zuletzt im November 2016 in Marrakesch auf der 22. Weltklimakonferenz festgeschriebenen Ziele zur Reduzierung der Kohlendioxid-Emission bis 2050. Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesrepublik Deutschland enthält die Zielvorstellung einer „weitgehenden Treibhausgasneutralität“, die bis zur Mitte des Jahrhunderts erreicht werden soll. Schließlich hatte man schon 2010 in Berlin beschlossen, die Treibhausgasemissionen bis 2050 „im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 zu vermindern“.
Wünschenswert ist vieles, doch machbar?
Wo sollen – CO2-neutral! – die gigantischen Kraftstoffmengen herkommen, die allein in der Luftfahrt und Schifffahrt benötigt werden? Gäbe es dafür eine wirtschaftliche Lösung, dann wäre auch das Problem der Speicherung überschüssiger solar- und winderzeugter elektrischer Energie gelöst.
Vor dem Hintergrund des beschriebenen Ziels einer globalen Reduzierung der Kohlendioxid-Emission verlieren alle Ansätze zur Minderung anderer unerwünschter Emissionen ihre Bedeutung. Das mag auf den ersten Blick nicht leicht erkennbar sein, gewinnt aber bei eingehender Betrachtung möglicher Lösungen für das grundsätzliche Problem an Bedeutung.
Die heute in der Luftfahrt und in der Schifffahrt überwiegend als Antrieb verwendeten Verbrennungskraftmaschinen – Gasturbinen und Dieselmotoren – können in den nächsten drei Jahrzehnten kaum von einer anderen Technik ersetzt werden, mit der ein CO2-neutraler Betrieb möglich wäre. Was bleibt, ist folglich zwingend eine Betrachtung des Kraftstoffs.
Bei allen heute verwendeten Kraftstoffen hängt die CO2-Emission unvermeidlich direkt von der benötigten Leistung ab. Unterschiede ergeben sich nur aus deren chemischer Struktur. Das wird beim Vergleich von Erdgas mit schweren Kohlenwasserstoffen am deutlichsten: Das Erdgasmolekül weist das beste Verhältnis von Wasserstoffatomen zu Kohlenstoffatomen auf und Schweröl das schlechteste.
Selbstverständlich ist die Verwendung von Erdgas als Schiffskraftstoff dem Schweröl vorzuziehen, wenn es um die Minderung von Schadstoffemissionen geht. Doch die damit verbundene Technik kann im Hinblick auf das Jahr 2050 ebenfalls nur eine Übergangslösung sein – jedenfalls für die Schifffahrt.
Auch die bekannten Verfahren zur Herstellung sogenannter Bio-Kraftstoffe bieten allein aus Gründen der benötigten Mengen keinen realistischen Ansatz. Das haben schon die Rechenbeispiele für die Versorgung allein der deutschen Pkw mit Bio-Kraftstoffen während der ersten Energiekrise der 1970er Jahre gezeigt. Negativ kommt hier noch die Konkurrenzsituation zwischen der Kraftstofferzeugung und der Gewinnung klassischer landwirtschaftlicher Produkte hinzu.
Nicht vergessen werden darf dabei, dass alle Produktionsprozesse zur Herstellung alternativer Kraftstoffe ebenfalls CO2-neutral ablaufen müssen. Das führt zur Stromerzeugung mit Windkraft und Solartechnik und den damit verbundenen Problemen der Speicherung überschüssiger elektrischer Energie. Naheliegend ist dann die Kraftstoffsynthese. Doch welcher Kraftstoff sollte vernünftigerweise künstlich erzeugt werden? Die Antwort darauf ist zwar relativ einfach, doch sie muss auch großtechnisch umsetzbar sein. Es kann sich nur um einen Kraftstoff handeln, der auf beiden Wegen, bei der Herstellung wie bei der Nutzung, den besten „Nutzungsgrad“ bietet und der mit dem gegenwärtigen Stand der Motorentechnik keine neuen Probleme bietet. Das könnte Alkohol – zum Beispiel Methylalkohol – sein.
Die Verwendung von Alkohol als Kraftstoff von Verbrennungsmotoren ist keineswegs neu, sondern weit mehr als hundert Jahre alt. Spätestens ab 1884 – das Jahr steht für die Erfindung des Oberflächenvergasers und die Niederspannungsmagnetzündung von Nicolaus August Otto – konnten statt Gas auch geeignete Flüssigkeiten zum Betrieb von Ottomotoren verwendet werden. Dazu gehörten damals grundsätzlich auch Alkohole. Vor allem ging es um die Verwendung von Spiritus, das ist schließlich nur vergällter Äthylalkohol.
Die hohe Zeit der Spiritusmotoren waren die Jahre um die Jahrhundertwende von 1901, in der die Landwirtschaft in Deutschland mehr Spiritus produzierte als der Markt aufnahm. So suchte man nach alternativen Verwendungen und fand sie unter anderem als Kraftstoff von Lokomobilen. Die Daimler-Motoren-Gesellschaft stellte 1899 sogar einen Bootsmotor mit Doppelvergaser vor. Eine Seite des Vergasers war für den Benzinbetrieb, die andere für den Betrieb mit Spiritus eingerichtet.
Gegenwärtig sind bereits mehr oder weniger serienmäßig hergestellte und zugelassene Großmotoren für den Betrieb mit Methanol verfügbar. MAN Diesel & Turbo hat alle seine langsamlaufenden Wechselmotoren der Baureihen ME-GI dafür eingerichtet. Sie tragen die Bezeichnung ME-LGI, wobei die letzten drei Buchstaben für „liquid gas injection“ stehen. Diese Motoren können mit verschiedenen Kraftstoffen betrieben werden, die einen niedrigen Flammpunkt haben, wie zum Beispiel Alkohole. Der Kraftstoffverbrauch soll sich nicht vom Betrieb als Dieselmotor mit Schweröl unterscheiden.
Für Wärtsilä hat die Verwendung von Methanol als Schiffskraftstoff 2015 mit dem Umbau der Motorenanlage des 2001 in Spanien gebauten Fährschiffes „Germanica“ der Stena Line begonnen. Das Schiff ist mit vier Acht-Zylinder-Motoren der Baureihe ZAL 40 S von Sulzer ausgerüstet, die eine Leistung von insgesamt 24000 kW abgeben können. Zunächst wurde nur ein Motor auf den Methanol-Betrieb umgerüstet, die anderen jedoch schon darauf vorbereitet, so dass nach erfolgreichem Betrieb die anderen Motoren im Frühjahr 2016 auch umgerüstet werden konnten.
Das Unternehmen hat viele Jahre die These vertreten, „Gas ist der Kraftstoff der Zukunft in der Schifffahrt“. Unter dem hier diskutierten Aspekt der CO2-Neutralität kann das heute nur noch als ein Übergang betrachtet werden. Dass man das bei Wärtsilä inzwischen auch so sieht, zeigt ganz deutlich die Präsentation zur Umrüstung der „Germanica“ auf dem CIMAC Kongress 2016.
Methylalkohol – auch als Methanol bezeichnet – bietet beste Voraussetzungen für die synthetische Herstellung. Die CO2-Neutralität ergibt sich daraus, dass überschüssige elektrische Energie aus der Windkraft oder der Solartechnik sowie das Kohlendioxid der Luft und Wasser für die Synthese genutzt werden. Über den Verbrennungsprozess im Motor kehrt das Kohlendioxid in die Luft zurück und der Kreis ist geschlossen.
Entscheiden Regularien des Umweltschutzes darüber, welcher Kraftstoff verwendet werden muss – im Sinne: es ist keine Alternative zugelassen – dann ist der Marktpreis ohne Bedeutung. In jüngster Zeit war das schon am Verhalten der Reeder zu erkennen, wenn es um den Betrieb ihrer Schiffe in den SECAs ging. Ist kein Abgaswäscher nachgerüstet, dann wird eben mit MGO statt mit HFO gefahren. Heute schon wird Methanol großtechnisch in erheblichen Mengen hergestellt und weltweit vermarktet, allerdings nicht CO2-neutral. Ausgangsprodukt ist Methan und somit ein fossiler Kraftstoff. Das US-amerikanische Unternehmen Methanex Corporation bezeichnet sich selbst als größten Hersteller von Methanol mit weltweitem Vertrieb. Dessen Tochtergesellschaft Waterfront Shipping Company betreibt mit 22 seegehenden Schiffen bis zu 50000 TDW die größte Methanol-Tankerflotte der Welt.
Ein Teil der technischen Probleme im Umgang mit Methanol sind aufgrund der Erfahrungen mit diesen Schiffen bereits gelöst. Das betrifft vor allem das Bunkern und die Lagerung. Für die Verwendung von Schiffskraftstoffen mit niedrigem Flammpunkt hat DNV bereits 2013 als erste Klassifikationsgesellschaft entsprechende Richtlinien herausgegeben. Festhalten lässt sich hierzu, dass der technische Aufwand für den Umgang mit den Alkoholen an Bord wesentlich geringer ist als der für Erdgas. Ein Nachteil von Methanol darf nicht unerwähnt bleiben: sein niedriger Heizwert. Dagegen stehen erhebliche Vorteile im Vergleich zur Verwendung von Methan. Zum Beispiel tritt kein Methanschlupf auf. Hinsichtlich im Einsatz befindlicher Motoren müssten im Ottoverfahren arbeitende Motoren geringfügig angepasst werden. Sie würden sogar mit einem etwas besseren Wirkungsgrad laufen. Dieselmotoren müssten auf das Zündstrahlverfahren umgebaut und somit Ottomotoren werden. Da die großen Motorenhersteller für einen weiten Leistungsbereich Wechselmotoren anbieten, wären sie sofort in der Lage, auch reine Zündstrahlmotoren auf den Markt zu bringen.
Abschließend ein aktueller Preisvergleich: Anfang Januar 2017 lag der Preis für Schweröl IFO 380 in Rotterdam bei 315 US-$ und der für Marine Gas Oil bei 480 US-$ pro Tonne. Methanex gab für das letzte Quartal 2016 den Preis für Methanol mit 320 US-$ pro Tonne an. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Heizwerte ist Methanol gegenwärtig doppelt so teuer wie das Schweröl und etwa 50 Prozent teurer als MGO. Dagegen müssten jedoch die weitaus geringeren Investitionen für den Methanbetrieb gerechnet werden. Und – siehe oben – wenn die Regularien die Handlungsweise bestimmen, dann spielt der Preis keine Rolle.