Die griechische Fährreederei ANEK Lines feierte 2017 ihr 50jähriges Jubiläum. In aller Bescheidenheit trug jedoch nur das Flaggschiff EL VENIZELOS das Logo „50 χρόνια – Years“ auf dem Rumpf, andernfalls wäre einem der runde Firmengeburtstag fast entgangen. Dabei war die 50jährige Geschichte der Reederei durchaus turbulent.
Geboren wurde die „Anonymi Naftiliaki Etaereia Kritis“ (ANEK), die Kretische Schifffahrtsgesellschaft, aus der Not heraus. Am 08.12.1966 war auf der Nachtfahrt von Chania nach Piräus das Typaldos Lines-Passagierschiff HERAKLION gesunken, ein 17 Jahre alter und 1964 mehr schlecht als recht zur Fähre umgebauter ehemaliger Ostasien-Liner der Bibby Line. Das Schiffsunglück ereignete sich in schwerer See und forderte über 200 Menschenleben; nur 46 Passagiere und Besatzungsmitglieder konnten gerettet werden.
Nachdem die auf Kefalonia ansässige Reederei der HERAKLION der Nachlässigkeit und der Nichteinhaltung diverser Sicherheitsbestimmungen beschuldigt worden war, wurde am 10.04.1967 in Chania die Reederei ANEK Lines als Initiative westkretischer Unternehmer gegründet. Anteilseigner der neuen Reederei, die fortan unter der Schirmherrschaft des kretischen Erzbischofs stand, durften nur Einwohner der größten Insel Griechenlands sein. Zweck der Unternehmensgründung war eine sichere und zuverlässige Schiffsverbindung der Bauern, Kaufleute und Handwerker Kretas zum griechischen Festland. 1968 kaufte ANEK Lines einen 1953 gebauten Tanker an, den man in Perama zur Autofähre umbauen ließ. Im September 1970 nahm das in KYDON umbenannte Schiff seinen Dienst auf der Fährlinie Chania – Piräus auf.
Mit der Indienststellung der Schwesterschiffe CANDIA und RETHYMNO expandierte ANEK Lines 1973 ein erstes Mal; neu hinzu kam nun die Fährlinie Heraklion – Piräus, bisher alleinige Domäne des in Heraklion ansässigen Konkurrenten Minoan Lines. Mit der KRITI und der APTERA folgten 1978 und 1987 weitere Flottenzuwächse, wobei letztere ANEK Lines 1987 die Aufnahme einer dritten Verbindung zwischen Kreta und dem Festland ermöglichte. Die Fährlinie zwischen Heraklion und Thessaloniki wurde von der in Chania überzählig gewordenen KYDON bedient. Ein weiterer Meilenstein war 1989 die Anschaffung der Fähren LATO und LISSOS, mit denen ANEK Lines erstmals in internationale Gewässer vorstieß; die Schiffe wurden auf der Adria-Fährlinie Patras – Igoumenitsa – Korfu – Ancona in Dienst gestellt. Auch in diesem Markt hatte erst einige Jahre zuvor Minoan Lines begonnen, Präsenz zu zeigen.
Mittlerweile war ANEK Lines 20 Jahre alt, und pünktlich zum 25jährigen Reederei-Jubiläum sollte ein Schiff zur Flotte hinzustoßen, das in der griechischen Fährschifffahrt, aber auch darüber hinaus neue Maßstäbe setzen würde. Getauft 1992 auf den Namen des kretischen (und griechischen) Staatsmannes Eleftherios Venizelos (1864 – 1936), konnte dieses Schiff jedoch schon lange vor seiner Indienststellung in der Adria eine bewegte Geschichte vorweisen. Geordert worden war es nämlich bereits 1979 als dritte von vier Jumbofähren der schwedischen Stena Line. Im Juli 1983 auf Kiel gelegt und 1984 vom Stapel gelaufen, ging der Bau der als STENA POLONICA geplanten Fähre allerdings aufgrund der sozialen Unruhen und ständiger Streiks auf der polnischen Bauwerft nur schleppend voran. 1986 trat Stena daher vom Kauf zurück und ließ nur die ersten beiden Einheiten fertig stellen. Rumpf Nr. 3 wurde 1988 halbfertig von den norwegischen Fred. Olsen Lines gekauft, die das Schiff als BONANZA beim Bremer Vulkan in Bremen-Vegesack fertig stellen lassen wollten. Doch auch daraus wurde nichts. Ohne Umbau veräußerte Fred. Olsen den Torso 1989 weiter an ANEK Lines, unter deren Flagge er am 16.02.1989 im griechischen Eleusis eintraf. Dort begann im November die Fertigstellung des im Juni 1990 zunächst in KYDON II umbenannten Schiffes. Dieser zog sich bis ins Jubiläumsjahr 1992, da jedoch sorgte die EL. VENIZELOS als größte und luxuriöseste Fähre im Mittelmeer für viele Schlagzeilen. Im Sommer verkehrte das neue Flaggschiff auf den Adria-Routen von ANEK Lines, im Winter dagegen meist auf den Stammstrecken nach Chania und Heraklion.
In der Folge erfuhr nicht zuletzt aufgrund des Zerfalls Jugoslawiens und der damit verbundenen Nichtbenutzbarkeit des Landweges von Mittel- nach Südeuropa der Seeweg zwischen Italien und Griechenland einen Aufschwung, dem ANEK Lines 1997 mit der Indienststellung der KRITI I und KRITI II Rechnung trug. Auch Triest und Venedig lief die Reederei auf italienischer Seite nun an. Ferner wurde aus der „Volks-AG“ im Dezember 1998 eine „richtige“ Aktiengesellschaft, als ANEK Lines an der Athener Börse notiert wurde. Die Kapitalerhöhung sollte dazu dienen, in Zukunft verstärkt in moderne Großtonnage zu investieren.
Im innergriechischen Fährmarkt waren die späten 1990er Jahre von einem Konzentrationsprozess geprägt, dem sich auch ANEK Lines nicht verschloss. So übernahm die Reederei zwischen 1998 und 2000 zu 100% den Mitbewerber Cretan Ferries (Rethymniaki Lines), erwarb 50% der Anteile von LANE Lines, 16,5% von NEL Lines, 20% von ANEN Lines sowie 41,9% von DANE Sea Lines. Auch führte ANEK Lines zu dieser Zeit Gespräche über eine strategische Zusammenarbeit sowohl mit dem Erzrivalen Minoan Lines (2001) als auch mit dem Mitbewerber Blue Star Ferries (2002); auf eine enge Partnerschaft einigen konnte man sich aber in beiden Fällen nicht.
Hinsichtlich der neuen Tonnage hatte sich der Focus derweil von den beiden Stammstrecken zwischen Kreta und Piräus auf die Verbindungen in der Adria verschoben. Hier kam nicht nur 1999 die SOPHOKLES V. und 2000 die LEFKA ORI in Fahrt, sondern kurze Zeit später auch ein Paar Neubauten, das ANEK Lines in Norwegen hatte bauen lassen: die beiden schnellen Luxusfähren OLYMPIC CHAMPION (2000) und HELLENIC SPIRIT (2001). Die EL. VENIZELOS dagegen war diesen neuen Schiffen plötzlich vor allem in punkto Geschwindigkeit unterlegen und für die Linien nach Kreta vor allem in der Nebensaison mit ihrer Kapazität für 2.500 Passagiere (1.600 Betten) und 850 PKW schlicht zu groß. Sie wurde fortan verchartert; zwischen 2004 und 2011 jeweils im Sommer an die tunesische COTUNAV, 2013 an SNCM, 2014 an GoinSardinia, 2015 als Flüchtlingsschiff an die griechische Regierung und 2016 an Africa Morocco Link. Von der charterlosen Saison 2012 abgesehen, kehrte die EL. VENIZELOS erst 2017 wieder dauerhaft in ihre Heimatgewässer zurück, wo sich jedoch die Zeiten ebenfalls geändert haben: Seit dem Juni 2011 nämlich betreibt ANEK Lines die Verbindungen Piräus – Heraklion und Ancona – Patras in einer Fahrplangemeinschaft mit der Attica Group (Superfast Ferries/Blue Star Ferries). Dies erlaubt nicht zuletzt ANEK Lines einen effizienteren Tonnage-Einsatz als zuvor, nur dass man als Kunde im Jubiläumsjahr 2017 nicht mehr unbedingt automatisch eine ANEK Lines-Fähre bekam, wenn man eine solche gebucht hatte.
Die Flotte der Reederei besteht am Ende des Jahres aus neun Schiffen: dem Flaggschiff EL. VENIZELOS, den beiden Norwegen-Neubauten OLYMPIC CHAMPION und HELLENIC SPIRIT, den fünf eigenen Einheiten ELYROS, KYDON ex SOPHOKLES V., KRITI I, KRITI II und PREVELIS sowie der gecharterten ASTERION. ANEK Lines beschäftigt ca. 900 Angestellte an Land und auf See und kann sich wie vor 50 Jahren in all seinen Unternehmungen der Loyalität der Bürger Westkretas sicher sein, deren Eltern und Großeltern das Unternehmen 1967 so erfolgreich aus der Taufe gehoben haben.