Die Europäische Kommission hat ein innovatives Projekt zur Entwicklung einer bionischen Rumpfbeschichtung bewilligt, die den Reibungswiderstand von Schiffen reduziert. Das Projekt AIRCOAT treibt eine bahnbrechende Technik voran. Diese hat ein hohes Potenzial, den Schiffsbeschichtungssektor zu revolutionieren und den Energieverbrauch und die Emissionen des europäischen Schiffsverkehrs zu reduzieren. Ein Team von zehn europäischen Wissenschaftlern und Industrieexperten unter der Leitung des Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen erhält insgesamt 5,3 Millionen Euro für die Entwicklung und Demonstration des AIRCOAT-Prototyps.
AIRCOAT (Air Induced friction Reducing ship COATing) entwickelt eine passive Luftschmiertechnik, die den biomimetischen Salvinia-Effekt nutzt. Dieser Effekt ermöglicht die Haltung von Luftschichten unter Wasser. Das Projekt setzt diesen Effekt technisch auf einem selbstklebenden Foliensystem um. Ist ein Schiff mit solch einer AIRCOAT-Folie beschichtet, entsteht eine dünne Luftschicht zwischen Schiff und Wasser, die den gesamten Reibungswiderstand deutlich reduziert und gleichzeitig als physikalische Barriere zwischen Wasser und Rumpfoberfläche wirkt. Neben der erheblichen Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und damit der Abgasemissionen verhindert die Luftbarriere auch die Anhaftung von Foulingorganismen und die Freisetzung von bioziden Substanzen (von darunter liegenden Beschichtungen) ins Wasser und mindert die Abstrahlung von Schiffslärm.
Das dreijährige Projekt startet am 1. Mai 2018 und wird von der Europäischen Kommission im Rahmen von Horizon 2020 mit insgesamt 5,3 Millionen Euro gefördert. Neben dem Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) umfasst das interdisziplinäre Projektkonsortium das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Hochschule Bremen und die Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH (HSVA). Weitere europäische Partner sind zudem Avery Dennison Materials Belgium, PPG Coatings Europe BV aus den Niederlanden, Danaos Shipping aus Zypern, die AquaBioTech-Gruppe aus Malta, das Finnische Meteorologische Institut und Revolve Water aus Belgien.
Das Projekt ist ein Paradebeispiel für eine bionische Anwendung, bei der die Technik von der Natur lernt. Die Natur hat den Salvinia-Effekt hervorgebracht, der es der Salvinia-Pflanze, einem auf dem Wasser schwimmenden Farn, ermöglicht, auch unter Wasser zu atmen, indem sie eine permanente Luftschicht hält. Nun wird dieses natürliche Phänomen technisch appliziert. Der Salvinia-Effekt wurde im Rahmen des BMBF-Projektes ARES der Universitäten Karlsruhe (KIT), Bonn und Rostock und eines von der Baden-Württemberg Stiftung geförderten Projektes am KIT beschrieben und erforscht. Diese Projekte zeigten bereits die Machbarkeit der Luftbeschichtung unter Wasser und ihr Potenzial für technische Anwendungen. Einer der Pioniere der Luftbeschichtung, der Nanotechnik-Experte und wissenschaftliche Koordinator des AIRCOAT-Konsortiums, Professor Thomas Schimmel vom KIT, kommentiert: „Nachdem wir den Salvinia-Effekt verstanden haben, haben wir die Herausforderung angenommen und eine Methode zur Herstellung einer künstlichen Oberfläche entwickelt, die den Salvinia-Effekt im Labor nachahmt. Jeden Tag, wenn ich mein Labor betrete, bin ich wieder fasziniert zu sehen, dass selbst ein früher Prototyp, den wir vor mehr als 5 Jahren unter Wasser gesetzt haben, immer noch mit einer permanenten Luftschicht bedeckt ist – er bleibt seit mehr als 5 Jahre unter Wasser trocken!“ Professor Schimmel erkannte das große Potenzial dieser Erfindung für die Schifffahrt. Er verbündete sich mit dem Fraunhofer CML und gemeinsam wurde das Projekt AIRCOAT konzipiert, um den Prototyp auf die nächste Stufe zu heben und seine Industrietauglichkeit zu demonstrieren. Für AIRCOAT stellten sie ein internationales und interdisziplinäres Konsortium aus führenden Wissenschaftlern zusammen, von der Angewandten Physik und Nanotechnologie, der experimentellen und numerischen Strömungsmechanik, der Bionik, der innovativen Schiffstechnik und der Schiffsemissionsmodellierung bis hin zu Industrieexperten aus den Bereichen der Schiffbeschichtung, der Ökotoxikologie, und der Selbstklebefolientechnik sowie Containerschiffsbetreiber.
Das Konsortium wird kleine Prototypen zur Optimierung der Oberflächeneigenschaften dieser neuen Technologie entwickeln und diese experimentell und numerisch untersuchen. Anschließend werden größere Prototypen erstellt, um die Effizienz und industrielle Machbarkeit im Labor, auf Forschungsschiffen und auf Containerschiffen zu demonstrieren. Ein umfassender Validierungsprozess wird den wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen untersuchen und aufzeigen. AIRCOAT-Projektkoordinator Johannes Oeffner vom Fraunhofer CML kommentiert: „Die Potenziale von AIRCOAT sind enorm. Erste Schätzungen zeigen, dass die AIRCOAT-Technik mindestens 25 % des Kraftstoffverbrauchs von Schiffen und damit 25 % der Abgasemissionen reduzieren kann.“ Wesentliche Vorteile der bestehenden Techniken sind, dass der Schiffskörper über die Luftschicht passiv „geschmiert“ wird und die Refit-Technik sofort auf die gesamte Flotte anwendbar wäre. Durch Kombination mit modernster Selbstklebefolien-Techniken kann AIRCOAT die maritime Beschichtungsbranche revolutionieren und zu einer zukunftsweisenden Energieeffizienz- und Emissionsminderungstechnik werden.
Im Rahmen von AIRCOAT erhält das Fraunhofer CML eine Förderung von 1,14 Millionen Euro. Das CML wird das Projekt koordinieren und seine Expertise in der angewandten Schifffahrtsforschung nutzen, um die Lücke zwischen Wissenschaft und Industrie zu schließen und den ganzheitlichen AIRCOAT-Ansatz sicherzustellen. Das CML wird dazu beitragen, die Oberflächenstruktur von AIRCOAT durch experimentelle und numerische Methoden zu optimieren und die Ergebnisse zu analysieren, um sie auf größere Dimensionen zu übertragen und auf reale Schiffe anzuwenden. Neben der Entwicklung einer Methode zur Quantifizierung und Überwachung der Luftschicht wird das CML auch die Bewertung der wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen von AIRCOAT durchführen.