Zu Jubiläen feiern sie fröhliche Urständ
Bei vielen Ereignissen der Technikgeschichte sind auch Fachleute auf die mündliche Überlieferung angewiesen und können nur versuchen, ein Minimum an Plausibilität aus den wenigen Fakten herauszufiltern, die zu einem bestmimten Ereignis vorliegen. Völlig anders liegt der Fall, wenn Daten und Fakten nachweisbar vorliegen und von Legenden überwuchert werden. Ein klassischer Fall hierzu liegt dem Film „Der Mann der Liberty Valance erschoss“ zugrunde.
Kennen Sie diesen Film, und haben Sie das Fazit noch in Erinnerung? Nun, diese Geschichte lehrt uns, dass die sachliche Aufklärung eines Falles überhaupt nicht gefragt ist, wenn damit Legenden zerstört werden. Im Film kehrt der ursprünglich etwas unbedarfte Rechtsanwalt als erfolgreicher, einflussreicher Senator an den Ort zurück, in dem Valance angeblich von ihm erschossen wurde. Auf Wunsch des örtlichen Zeitungsverlegers erzählt er die wahre Geschichte und dass er zur Beerdigung des Menschen gekommen wäre, der Valance wirklich erschoss. Wie gesagt, seinen Bericht wollte der Zeitungsverleger nicht drucken, weil er lieber weiter mit der Legende leben wollte.
Das Fazit dieses Films ist symptomatisch für viele zeitgeschichtliche Ereignisse, die lange zurück liegen und um die sich entsprechende Legenden gerankt haben. Der Kampf dagegen gleicht dem Kampf des Don Quixote gegen die Windmühlenflügel. Allzu gern sonnt man sich an bestimmten Orten in den doch so plausiblen Bildern, die Legenden malen.
Jubiläen sind dann ein willkommener Anlass, die alten Geschichten wieder aufzuwärmen. Und das Problem: Trotz oder gerade wegen des Internets und der Rolle einer gewissen Online-Enzyklopädie, fallen auch die Redaktionen seriöser Blätter darauf herein.
Jüngster Fall: Das 110-jährig Bestehen der MTU Friedrichshafen, ausgehend von der Gründung der „Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH“ am 23. März 1909 in Bissingen an der Enz. Zum 75-jährigen Bestehen des Unternehmens ist 1984 auf Veranlassung des Verfassers dieses Beitrags in einer Jubiläumsschrift wohl erstmals der Gründungsvorgang zwar knapp, aber korrekt beschrieben worden.
Nach der Legende war bis dahin Wilhelm Maybach, in anderen Fällen sein Sohn Karl, der Gründer des Unternehmens. Maybach hatte zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Ottomotoren. Außerdem war sein Sohn Karl – von ihm bei der Daimler Motorengesellschaft ausgebildet – inzwischen in einer Studiengesellschaft in Paris an der Entwicklung leistungsfähiger leichter Motoren beteiligt. Doch Wilhelm Maybach stand nach seinem Ausscheiden aus der Daimler-Motoren-Gesellschaft, am 31. März 1907, noch unter dem Vorbehalt eines Konkurrenzausschlusses und konnte folglich kein anderes Motorenunternehmen gründen. So wurde Karl Maybach technischer Leiter des Unternehmens, blieb aber ebenso wie sein Vater, zunächst unbeteiligt am Gesellschaftskapital.
Nach dem Verlust des Luftschiffs LZ 4, nach einer Notlandung wegen eines Motorschadens, am 5. August 1909, in der Nähe von Echterdingen, stand Graf Zeppelin vor dem Aus. Doch die Begeisterung für seine Luftschiffe war in Deutschland so groß, dass es in ganz kurzer Zeit zur sogenannten „Volksspende“ von 6,25 Millionen Mark kam, mit der die Arbeiten weitergeführt werden konnten. Der größte Teil der Spende wurde in die „Zeppelin-Stiftung“ eingebracht. Ein anderer Teil diente der finanziellen Ausstattung der am 8. September 1908 gegründeten „Zeppelin Luftschiffbau GmbH“.
Bereits am 22. August 1908 hatte Wilhelm Maybach einen langen Brief an Graf Zeppelin gerichtet und ihn unter anderem auf die Arbeiten seines Sohnes in Paris aufmerksam gemacht. Dort entstanden Motoren, die nach Maybachs Auffassung wesentlich besser für den Antrieb von Luftschiffen geeignet waren, als die der Daimler-Motoren-Gesellschaft. Sein Problem: Er durfte nicht selber tätig werden und begründete das wie folgt: „Ich selbst bin nun vom Tage meines Austritts an auf drei Jahre vertraglich gebunden, nichts gegen die Interessen der D.M.G. zu unternehmen, mein Sohn dagegen, den ich ganz zu meiner Unterstützung in der D.M.G. ausgebildet habe und der kurz vor mir aus den Diensten der D.M.G. ohne Vertragsverpflichtungen ausschied, hat sich einer Studiengesellschaft angeschlossen.“
Die Gründung der „Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH“, als ältester Vorläufergesellschaft der MTU Friedrichshafen GmbH, erfolgte am 23. März 1909 in Bissingen an der Enz. Gesellschafter waren der Luftschiffbau Zeppelin und vier Strohmänner. Jeder Gesellschafter hielt ein Fünftel der Geschäftsanteile. Mit den Strohmännern war vor der Gründung verabredet worden, dass der Luftschiffbau später ihre Geschäftsanteile übernehmen solle. Das erfolgte am 26. Oktober 1910. Erst danach wurden Wilhelm Maybach, der nun nicht mehr dem Konkurrenzausschluss unterlag, 20 Prozent des Gesellschaftskapitals übertragen. Sein Sohn wurde erst wesentlich später Gesellschafter.
Andere Legendenbildungen in der Technikgeschichte betreffen zum Beispiel Bosch, Mahle und Schottel, um nur einige zu nennen. Bei Bosch sind gleich zwei verschiedene Erfindungen betroffen: Die Magnetzündung wurde nicht von Robert Bosch, sondern von Nicolaus August Otto erfunden und die Entwicklung der Einspritztechnik von Dieselmotoren geht auf die Arbeiten von Franz Lang zurück.
Neben dem Freiherrn Walter von Selve war es vor allem Hellmuth Hirth, der in Deutschland der Verwendung von Leichtmetall für die Kolben von Verbrennungsmotoren den Weg bereitet hat. Die Brüder Hermann (1920) und Ernst Mahle (1921) wurden Mitarbeiter von Hellmuth Hirth, nahmen mit ihrer Tätigkeit maßgeblichen Einfluss auf die betrieblichen Belange und konnten das Unternehmen später übernehmen. Sie legten den Eintritt von Hermann Mahle bei Hirth als Gründungsdatum ihres Unternehmens fest. Den Leichtmetallkolben haben sie beide nicht erfunden.