Landstrom für Kreuzfahrtschiffe – ein Dauerbrenner
Die Fragen und Probleme zur Stromversorgung der in Häfen liegenden Schiffe sind seit mehreren Jahrzehnten ein Dauerbrenner, besonders wenn es um die Versorgung von Kreuzfahrtschiffen geht.
Jüngstes Beispiel ist die Hintergrund-Sendung des Deutschlandfunks am 25. Juni 2019. Da hieß es im Vorspann provozierend: „Schwefeldioxid, Stickoxide, Feinstaub – die Schifffahrt ist ein großer Umweltverschmutzer“, um dann auf die Stromversorgung der Kreuzfahrtschiffe von Land aus einzugehen. Breiten Raum nahmen danach die hinlänglich bekannten Forderungen des NABU ein, ohne auf Fragen der Wirtschaftlichkeit des Schiffsbetriebs und auf die Konkurrenzfähigkeit der Reedereien sowie auf das geltende nationale und internationale Regelwerk der Schifffahrt einzugehen. Die Sendung vermittelte den Eindruck, der Deutschlandfunk lasse sich vor den Karren des NABU spannen.
Für den Monat Juni wurden zur Stromversorgung in Deutschland zwei „Störfälle“ gemeldet, die nur mit dem Bezug von Strom aus dem Ausland gemeistert werden konnten. Wie es in der Meldung weiter hieß, waren die Ursachen noch nicht zu erkennen. Offenbar hat auch die Festlegung von sogenannten Hochlastzeitfenstern, in denen der Arbeitspreis – also die Kilowattstunde – besonders teuer ist, nicht zum gewünschten Erfolg geführt, nämlich in Spitzenzeiten Strom zu sparen. Vor dem Hintergrund der Störfälle im Juni 2019 ist es absurd, über die kurzfristige Abschaltung irgendwelcher Kraftwerke in Deutschland nachzudenken, zumal wenn lokal zusätzlich große Leistungen für die Versorgung von Kreuzfahrtschiffen erforderlich werden.
Schiffe benötigen auch während der Liegezeit im Hafen eine sichere, unterbrechungsfreie Stromversorgung. Angeschlossen an eine Landstromanlage haben sie in dieser Hinsicht wohl keine Wahl – oder doch? Soweit bekannt wurde, hat die AIDAsol zumindest im vergangenen Jahr immer nur wenige Stunden den Landstromanschluss in Altona genutzt, um dann die Bordaggregate wieder anlaufen zu lassen. So jedenfalls die Berichterstattung im Norddeutschen Rundfunk über den Sender NDR 90,3 am 30. Oktober 2018, an der auch der Pressesprecher von AIDA Cruises beteiligt war. Am 26. Februar 2019 berichtete der Sender zur weiteren Nutzung der Anlage: „… können Schiffe in diesem Jahr dort deutlich seltener mit umweltfreundlichem Strom versorgt werden“. Hintergrund sind die hohen Arbeitspreise in den Zeiten der Hochlastzeitfenster.
Diesen Aussagen widerspricht AIDA Cruises insofern, als das Unternehmen auf die Anläufe von AIDAsol seit Anfang Mai 2019 verweist, die während jeder Liegezeit in Altona zwischen 10 und 11 Stunden Landstrom bezogen habe. Was nicht ausgesagt wird, ist die gesamte Liegezeit der jeweiligen Anläufe! Folglich lässt sich nicht erkennen, ob und wie viele Stunden die Bordaggregate gelaufen sind.
Was nützen also Landstromanlagen, wie die in Altona, die mit einer Investition von 10 Mio Euro eingerichtet wurde, wenn betriebswirtschaftliche Bedingungen den Ausschlag geben, ob sie genutzt werden oder nicht? Und welchem Reeder kann man es verübeln, wenn der Landstrom, wie am 30. Oktober 2018 berichtet, Mehrkosten von 100.000 Euro verursacht, gegenüber der Stromerzeugung an Bord?
Zu diesem Teil der Berichterstattung des Norddeutschen Rundfunks verweigern alle Beteiligten – auch die betroffene Reederei – eine Aussage. An dieser Stelle muss man die Kritik des NABU nicht nur akzeptieren, sondern unterstützen. Solange am Regelwerk für den Schiffsbetrieb in den europäischen Hoheitsgewässern und in den Hafenstädten nichts geändert wird, ist den Reedereien jedoch kein Vorwurf zu machen. Aber die Adressaten sind, soweit die EU betroffen ist, die Kommission in Brüssel bzw. das Parlament in Straßburg.
Zweifellos könnten die Hafenverwaltungen Regeln erlassen, mit denen die Übernahme von Landstrom attraktiv wird. Doch auch derartige Maßnahmen unterliegen letztlich einer wirtschaftlichen Betrachtung im Hinblick auf die Konkurrenz der Häfen.
Zurück zum Thema Landstrom: Für die Kostengestaltung der Nutzung einer Landstromanlage spielen die Bestimmungen der in der Bundesrepublik Deutschland uneingeschränkt geltenden „Stromnetzentgeltverordnung“ eine erhebliche Rolle. Danach können die Verteilernetzbetreiber – in Hamburg ist das die der Hansestadt zu 100 Prozent gehörende „Stromnetz Hamburg GmbH“ – Hochlastzeitfenster festlegen (HLZF). Das sind Zeiten mit hohem Strombedarf, in denen die Stromversorgungsunternehmen folglich das volle Netzentgelt zahlen müssen, während sie für die Nutzung des Netzes in den Nebenzeiten Rabatte erhalten. Die Netzentgelte gehen selbstverständlich immer direkt in den Arbeitspreis ein, die der jeweilige „Letztverbraucher“ zu zahlen hat. Im Klartext heißt das, die Kilowattstunden sind in den HLZF deutlich teurer als in den Nebenzeiten.
Die Verteilernetzbetreiber sind frei in der Festlegung der HLZF und können die Fenster von Jahr zu Jahr ändern. Die Höhe der Entgelte ist abhängig vom Spannungsbereich (Hoch-, Mittel- oder Niederspannung) und kann darüber hinaus von den Jahreszeiten abhängig sein.
Wer sich dem Thema Landstrom nähert, begibt sich in eine Welt voller Zahlen, erhält damit aber keinerlei konkreten Aufschluss, um welche Kosten es letztlich für die Nutzung der Anlagen und den Bezug von Strom geht. Fragt man dann ein Stromversorgungsunternehmen, eine Hafenbehörde oder eine Reederei, wo der Arbeitspreis liegt, also was die Kilowattstunde kostet, dann werden mit Hinweis auf bestehende Verträge eine Menge Argumente vorgetragen, aber kein Preis genannt.
Konkret werden die Spezialisten der Branche selten und das wohl eher im kleinen Kreis. Die breite Öffentlichkeit wird mit Prozentsätzen überschüttet, denen kein konkreter Zahlenwert zugeordnet werden kann. Denn wer vermag schon etwas damit anzufangen, dass die Umlage für den Bezug von elektrischer Energie nach dem Erneuerbare-Energien Gesetz – kurz: EEG – auf 20 Prozent gesenkt werden soll, um die Übernahme von Landstrom attraktiver zu machen?
Zunächst müsste man erst einmal wissen, welchen Anteil diese Umlage am durchschnittlichen Preis einer Kilowattstunde hat. Durchschnittlich insofern, als dieser Preis aufgrund der unterschiedlichen Netzenzgelte in den Hochlastzeitfenstern und in den Nebenzeiten nicht einheitlich ist, selbst wenn der Reeder einen festen Vertrag für die Stromabnahme an einem Landstromanschluss hat.
Soweit erkennbar, hat die EEG-Umlage einen Anteil von rund 25 Prozent und das Netzentgelt beläuft sich auf 27 Prozent vom Preis einer Kilowattstunde. Nun haben sich die Regierungschefs der deutschen Küstenländer mit dem Koordinator der Bundesregierung im Rahmen einer Absichtserklärung unter anderem darauf geeinigt, die EEG-Umlage um 80 Prozent zu kürzen, wie dies für den Strombezug der Deutschen Bahn schon erfolgt ist. Darüber hinaus besteht der Wunsch, die Netzentgelte für den Landstrom zu senken.
Mal abgesehen davon, dass es noch keinen Zeitplan für die Umsetzung dieser Absichten gibt, und nicht sicher ist, ob die EU zustimmen muss, wäre das zwar eine nennenswerte Verbesserung des Arbeitspreises, aber konkurrenzfähig wäre damit der Strom in deutschen Häfen noch lange nicht. In Oslo kostet der Landstrom weniger als ein Drittel im Vergleich zu Hamburg oder Kiel.
Die Landstromanlagen in Hamburg und Kiel
Die Landstromanlage am Anleger Altona ist für eine maximale Leistungsabgabe von 12 MVA (entsprechend etwa 11 MW) ausgelegt. Nach offiziellen Angaben übernimmt die AIDAsol im Mittel nur eine Leistung von 4,4 MW. Der Spitzenwert „liegt etwas höher“ heißt es offiziell. Anhand dieser vergleichsweise niedrigen Leistung wird deutlich, warum niemand bereit ist, die oben zitierten Mehrkosten von 100.000 Euro zu erläutern. Die Frage ist nur, wer will in diesem Zusammenhang wen schützen?
Weiter ist zu fragen: Wo steht die Bundesrepublik Deutschland in Sachen Umweltschutz und welcher politische Wille steckt dahinter, wenn eine vom Umweltministerium geförderte Anlage – die Landstromanlage in Altona – nicht oder zu wenig genutzt wird, weil Maßnahmen des Wirtschaftsministeriums zu nicht akzeptablen Strompreisen führen?
Die Anfang Mai dieses Jahres am Norwegenkai in Kiel eingeweihte Landstromanlage wird inzwischen täglich jeweils vier Stunden von den dort festmachenden Fährschiffen der Reederei Color Line genutzt. Die Anlage ist für den Mittelspannungsbereich von 11kV und eine maximale Leistungsabgabe von 4,5 MW ausgelegt. Der Anschluss ist allerdings nicht kompatibel zu dem in Altona. Das hat gleich mehrere Gründe, unter anderem beträgt die Netzfrequenz in Kiel nur 50 Hz statt der sonst auf Schiffen üblichen 60 Hz.
Die Seehafen Kiel GmbH nennt für die jährliche Stromabnahme der Schiffe von Color Line „etwa 4 GWh“ und bestätigte auf Anfrage, dass die jeweilige Leistungsabnahme bei rund 2,7 MW liegt. Außerordentlich interessant ist die offizielle Nennung der Mehrkosten für diese Stromabnahme am Norwegenkai aufgrund der EEG-Umlage. Die betragen 275.000 Euro pro Jahr, was bezogen auf die Kilowattstunde rund 7 Cent bedeutet. Falls der im Raum stehende Prozentsatz für die Höhe der EEG-Umlage am Arbeitspreis stimmen würde, müsste die Kilowattstunde in Kiel danach rund 29 Cent kosten, was etwa dem Haushalt-Strompreis entsprechen würde. Da Großabnehmer jedoch deutlich weniger zahlen, wird offiziell kein Preis genannt, aber eingeräumt, dass die Stromerzeugung an Bord der Schiffe, deren Preis bei 12 Cent/kWh liegen soll, erheblich günstiger ist.
Vertragspartner von Color Line ist, wie in Hamburg, ein Stromversorgungsunternehmen. Insofern können die Abschreibungen für die Investition der Landstromanlage in Höhe von 1,2 Mio Euro nicht auf den Strompreis umgelegt werden. Sie gehen daher voll in den Preis für die Hafengebühren ein.
Fazit
Die Stromversorgung in Häfen liegender Schiffe von Land aus ist zweifellos eine wünschenswerte Alternative zur Stromerzeugung mit den Bordaggregaten, da die lokale Belastung der Luft mit Schadstoffen so deutlich gesenkt werden kann. Bedauerlicherweise gibt es für alle Beteiligten jedoch nur wenig Anreize, diesem Wunsch zu entsprechen.
Da sind zunächst die hohen Investitionen für die Anlagen an den Kais, deren Abschreibungen solange nicht verdient werden, wie zu wenig Schiffe dort Strom abnehmen, gleichgültig, ob sie über die Hafengebühren oder über den Arbeitspreis verrechnet werden. So kann zum Beispiel die Anlage am Norwegenkai in Kiel knapp 1500 Stunden pro Jahr genutzt werden. Für die Anlage in Altona ergeben sich nach dem derzeitigen Stand maximal 250 Stunden im Jahr.
Die Reedereien müssen die bordseitigen Anlagen zur Anpassung der Spannung von 11 kV auf die an Bord übliche Spannung nachrüsten. Abgesehen von den Investitionen, muss der dafür benötigte Raum bereitgestellt werden. Da gehen auf Kreuzfahrtschiffen durchaus einige Kabinen verloren.
Die in deutschen Häfen von den Stromversorgungsunternehmen geforderten Strompreise liegen zwar deutlich unter denen des Haushaltstrompreises, aber immer noch um ein Mehrfaches über denen in Norwegen und zwischen 50 und 100 Prozent über dem Preis für eine Kilowattstunde, wenn der Strom von den Bordaggregaten erzeugt wird. Welcher Reeder akzeptiert den damit verbundenen Wettbewerbsnachteil länger als unbedingt notwendig?
Schließlich dürften auch die Stromlieferanten wenig Freude am Landstrom haben. Betrachtet man die Zusammensetzung des Strompreises, so bleibt selbst unter Berücksichtigung der „Großabnahme“ nur ein geringer Gewinn. Inoffiziell werden genannt: 16 Prozent für die eigentliche Stromerzeugung, 24 Prozent für die EEG-Umlage, 27 Prozent für die Netzentgelte und 33 Prozent für die Betriebskosten – vermutlich einschließlich Gewinn.
Hinzu kommen noch technische Unterschiede für den Landstromanschluss zwischen Fahrgastschiffen und Frachtschiffen sowie offenbar erhebliche Probleme bei der Klassifizierung dieser Bordanlagen.
Nachdem hier Jahrzehnte ohne nennenswerte Fortschritte vergangen sind, besteht dringender Handlungsbedarf, um rasch einheitliche technische Standards zu gestalten und akzeptable Strompreise zu erzielen, um so eine bessere Grundlage für weitere Investitionen in diesem Bereich zu schaffen.