Klimawandel-Folgen im Norden Russlands
Weil das normalerweise die Route blockierende arktische Meereis taut, verschifft Russlands größter Flüssiggasförderer Jamal seinen Brennstoff mehr als einen Monat früher als bisher üblich über die Arktis nach China – zitiert Climatewire einen Artikel von Anna Shiryaevskaya und Stephen Stapczynski auf Bloomberg Green vom 19.05.2020. Die CHRISTOPHE DE MARGERIE, ein Schiff der Atomeisbrecherklasse, welches das von Novatek PJSC geführte Jamal-LNG-Projekt bedient, verließ am 18.05.2020 die Förderanlage im nordrussischen Sabetta und fährt nun über den sogenannten Nördlichen Seeweg nach Osten, wie aus den Schiffsverfolgungsdaten auf Bloomberg hervorgeht.
Die Route der nach einem 2014 in Moskau tödlich verunglückten Total-Generaldirektor benannten CHRISTOPHE DE MARGERIE ist der kürzeste und billigste Weg nach Asien für Jamals Fracht. Wegen des dicken Eises ist er jedoch im Winter normalerweise für ein halbes Jahr für die Schifffahrt gesperrt.
“Der Mai ist in der Tat eine sehr ungewöhnliche Zeit für den Beginn einer Reise in Richtung Osten über den Nördlichen Seeweg”, sagte Sergey Balmasov, Leiter des Informationsbüros im Zentrum für Logistik im hohen Norden. “Normalerweise sind noch im April die Navigationsbedingungen auf diesem Teil der Route am schwierigsten. Die Verschiffung ist ein Beweis dafür, dass der Zeitrahmen der Schifffahrtssaison ausgeweitet werden kann”.
Novatek prüft mit einer neuen Klasse von Atomeisbrechern eine längere und schließlich ganzjährige Befahrung der Route, ein durch den Klimawandel und das dünner werdende arktische Eis erleichtertes Vorhaben. Die CHRISTOPHE DE MARGERIE soll nach 24 Tagen Fahrt am 11.06. das Terminal Caofeidian (zweieinhalb Autostunden südöstlich von Peking am Chinesischen Meer) erreichen.
Die gewählte Route des Schiffes deutet darauf hin, dass der Nördliche Seeweg möglicherweise früher als normal für die Schifffahrt offen ist. 2018 und 2019 wurden die ersten Frachten über diesen Weg erst Ende Juni verschickt und trafen im Juli ein.
Das Jamal-LNG-Projekt: Komplex und doch hochkompetitiv
Das Ende 2013 in Betrieb genommene LNG-Projekt Jamal ist eines der größten und komplexesten LNG-Projekte der Welt. Es ist aber auch eines der wettbewerbsfähigsten, da es die immensen Onshore-Gasressourcen der russischen Jamal-Halbinsel nutzt. Mit den Partnern Novatek, CNPC und dem Seidenstraßenfonds entwickelt Total das riesige Gas- und Kondensatfeld South Tambey. Das Projekt zielt darauf ab, Erdgasreserven von insgesamt mehr als 4 Milliarden Barrel Öläquivalent zu erschließen. Dazu wurden mehr als 200 Bohrlöcher gebohrt und drei Verflüssigungszüge mit einer Kapazität von jeweils 5,5 Millionen Tonnen gebaut. Jährlich werden fast 16,5 Millionen Tonnen LNG durch den Hafen von Sabetta transportiert, wobei die gesamte LNG-Produktion im Rahmen von 15- bis 20-Jahres-Verträgen an Kunden in Europa und Asien verkauft wird.
Jamal LNG liegt oberhalb des Polarkreises in der Mündung des Ob, einer wilden, abgelegenen Region, die sieben bis neun Monate im Jahr zugefroren ist und in der die Temperaturen im Winter bis auf -50°C fallen können. Um ihre Stabilität im Permafrost zu gewährleisten, wurde die LNG-Anlage auf Zehntausenden von Pfählen unterschiedlicher Form und Größe errichtet – eine Bauweise, die vor dem LNG-Projekt von Jamal noch nie in so großem Maßstab eingesetzt wurde.