Kunststoffe sind aus unserem täglichen Leben heute nicht mehr wegzudenken, die seit nunmehr 80 Jahren einen weltweiten Siegeszug hingelegt haben. Kunststoffe sind künstlich hergestellte organische Stoffe, die aus den Elementen Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Chlor und Schwefel bestehen. Sie entstehen entweder aus der Umwandlung von Naturprodukten wie Kautschuk, Zellulose oder gehärtetem Milcheiweiß oder sie werden in einem Syntheseprozess aus Erdöl, Erdgas oder Kohle hergestellt.
Durch Erwärmen und Verformen werden aus Kunststoff verschiedenste Gegenstände hergestellt, wobei der Vorteil u. a. ihre geringe Dichte, ihre Haltbarkeit und ihre guten Eigenschaften als elektrische Isolatoren und Wärmeisolatoren sowie die kostengünstige Produktion ist. Zwischen 1930 und 1940 wurde in deutschen und amerikanischen Labors fieberhaft an der Entwicklung von Kunststoff geforscht, dabei entstanden unter anderem Polyethylen und Polyamid, Stoffe, die heute alltäglich sind. Es wurden außerdem Verfahren entwickelt, um Kunststoffe mit anderen Materialen wie Papier, Pappe oder Aluminium zu verbinden. Bereits 1936 kommen die ersten Haushaltswaren und Spielzeuge aus Plastik auf den Markt, Produkte die für die Meere heute ein gewaltiges Problem darstellen.
In den Ozeanen findet man heute praktisch alle Plastikmaterialien und Kunststoffgegenstände, den größten Anteil haben Verpackungen. Am auffälligsten sind jene Plastikabfälle, deren Dichte so gering ist, dass sie auf der Wasseroberfläche treiben und dadurch gut sichtbar sind – zum Beispiel die weit verbreiteten Folien und Tüten aus Polyethylen. Doch auch diese können mit der Zeit zum Meeresboden sinken, wenn sich darauf Lebewesen ansiedeln. Kunststoffe höherer Dichte wie etwa PVC, Polyester oder Polyamid sinken sofort in die Tiefe.
Je länger die Plastikgegenstände im Wasser treiben, desto stärker werden sie durch die ultraviolette Strahlung der Sonne und das Salz im Wasser chemisch angegriffen. Durch die Wellen werden sie in immer kleinere Bruchstücke zerschlagen. Schließlich zerfallen die Plastikfragmente in winzige Partikel von wenigen Mikrometer bis Millimeter Größe – entsprechend nennt man diese Art Kunststoffabfall Mikroplastik.
Plastikmüll gelangt im Meer bis in die entferntesten Regionen des Planeten und verschont dabei auch die Arktis nicht mehr, das zeigt eine der ersten Müllzählungen nördlich des Polarkreises durch Forschende des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) aus Bremerhaven. Die haben nun nachgewiesen, dass Kunststoffabfälle sogar in der Arktis an der Meeresoberfläche treiben, wobei noch unklar ist wie der Abfall so weit in den Norden gelangt. Für die arktischen Meeresbewohner aber dürfte er zum Problem werden, wurden Plastikrest unter anderem schon in den Mägen von Seevögeln und Grönlandhaien gefunden.
Untersuchung mit der POLARSTERN in der Framstraße
Um das Ausmaß der Verschmutzung zu messen, hatten die Wissenschaftler eine Expedition des Forschungseisbrechers POLARSTERN in die Framstraße genutzt, das Meeresgebiet zwischen Grönland und Spitzbergen. Von Bord des Schiffes und vom Helikopter aus suchte das Team um die AWI-Biologin Dr. Melanie Bergmann im Juli 2012 nach Müllteilen, die an der Wasseroberfläche trieben. Diese „Müllwache“ hielten die Forscher über eine Fahrt- und Flugstrecke von insgesamt 5600 Kilometern durch. „Insgesamt haben wir 31 Müllteile entdeckt“, berichtet Melanie Bergmann. Diese Zahl klingt im ersten Moment klein, zeigt aber, dass in der weit entfernten Arktis überhaupt Müll an der Wasseroberfläche zu finden ist. „Da wir die Zählungen von der Schiffsbrücke aus, also 18 m über der Meeresoberfläche, beziehungsweise von Bord eines Hubschraubers gemacht haben, haben wir natürlich in erster Linie großes Treibgut erfasst. Unsere Zahlen sind deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach eine Untertreibung des tatsächlichen Müllbestandes“, sagt die AWI-Meeresbiologin. Bekannt ist nämlich, dass Plastikabfälle in ein bis zwei Zentimeter kleine Bruchstücke zerfallen, wenn sie länger im Meer treiben.
Fünf große Müllstrudel bislang bekannt
Die in dieser Studie gezählten Kunststoffreste könnten aus einem neuen Müllstrudel stammen, der sich Computermodellen zufolge seit einigen Jahren in der Barentssee nördlich Norwegens und Russlands bildet. Solche auch als „Garbage Patches“ (Müllflecken) bezeichneten Müllstrudel entstehen, wenn viele der im Wasser treibenden Plastikteile früher oder später von großen kreisenden Meeresströmungen eingefangen werden und sich im Zentrum dieser Wirbel konzentrieren. Fünf solcher Müllwirbel sind bisher weltweit bekannt. Der sechste in der Barentssee entsteht wahrscheinlich gerade. In ihm, so vermutet Melanie Bergmann, sammelt sich der Müll aus den dicht besiedelten Küstenregionen Nordeuropas. „Es ist denkbar, dass ein Teil dieses Abfalls dann weiter nach Norden und Nordwesten bis in die Framstraße treibt“, erklärt die AWI-Biologin. Eine andere Ursache für die Müllfunde in der Arktis könnte nach Ansicht der Wissenschaftlerin auch der Rückgang des arktischen Meereises sein, wodurch immer mehr Fischtrawler, dem Kabeljau folgend, weiter nach Norden vorstoßen und somit auch der Schiffsmüll für die Verschmutzung der arktischen Gewässer verantwortlich ist. „Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt“, so die Wissenschaftlerin.
In einer früheren Studie hatte Melanie Bergmann feststellt, dass auch in der Tiefsee die Müllmenge in den vergangen Jahren zugenommen hat. Die Mülldichte ist am Meeresboden der Framstraße sogar 10 bis 100 mal höher als an der Wasseroberfläche. „In der Arktis finden wir in der Tiefsee durchschnittlich 2,2 bis 18,4 Müllteile pro Kilometer Fahrtstrecke. Für uns ist das ein Indiz dafür, dass der Müll letztlich auf den Meeresboden sinkt und sich in der Tiefsee wie in einem Endlager sammelt“, erläutert die AWI-Expertin ihre Forschungsergebnisse.
Seevögel und Meeressäuger verschlucken Plastikreste
Problematisch ist der treibende Müll in der Arktis insbesondere für Seevögel, die sich von Beute ernähren, die ebenfalls an der Wasseroberfläche schwimmt oder treibt. Das gilt insbesondere für Eissturmvögel, die zeitlebens auf hoher See bleiben. Aktuelle Untersuchungen aus dem Isfjord auf Spitzbergen zeigen, dass 88 Prozent der untersuchten Eissturmvögel Plastikteile verschluckt hatten. Und selbst Grönlandhaie verschlucken den Plastikabfall. So haben Forscher in den Mägen von bis zu acht Prozent der südlich von Grönland gefangenen Haie Plastikmüll gefunden.
Melanie Bergmann betont, dass die Mülldaten für ihre aktuelle Studie während einer Meeressäuger- und Seevogelstudie auf POLARSTERN erfasst wurden. „Wir haben diese zoologischen Beobachtungsfahrten einfach genutzt, um ganz nebenbei auch den Müll zu zählen“, berichtet sie.
„Ship of Opportunity“ (Schiffsreise mit Gelegenheit) nennen Wissenschaftler Gelegenheiten wie diese, bei denen wissenschaftliche Ergebnisse quasi nebenbei auf Expeditionen gewonnen werden, die eigentlich ein anderes Ziel verfolgen. „Da sich Müll von Bord eines fahrenden Schiffes aus relativ leicht erfassen lässt, bietet es sich an, künftig häufiger, Ships of opportunity‘ zu nutzen, um mehr über die Verbreitung des treibenden Mülls weltweit zu erfahren. Dazu eignen sich sowohl Überflüge als auch Fahrten mit Forschungsschiffen, mit Kreuzfahrt- und Handelsschiffen oder Fischereifahrzeugen“, erläuterte Bergmann.