LADY ALIDA im Härtetest

Das MS LADY ALIDA bereit zur Probefahrt.
Das MS LADY ALIDA bereit zur Probefahrt. © P.Pospiech

Lloyds Register und Reederei Wijnne Barends prüfen GS Yard-Neubau auf ”Herz und Nieren”

Bevor das Motorschiff LADY ALIDA seinem Eigner übergeben wird, steht die obligatorische Abnahme- und Probefahrt auf dem Programm der Bauwerft GS Yard. Erst mit ihrem Abschluß erhält das Schiff seine ”Geburtsurkunde”: Das Schiffsattest und die Urkunde der Klassifizierungsgesellschaft, in diesem Fall des Lloyds Register of Shipping (LR).
Es ist noch früh am Morgen des 13. April als unzählige Menschen in Overalls mit den Emblemen von bekannten Zulieferfirmen, mit ebenso vielen Paketen und Koffern, an Bord des Neubaus steigen und schnell an ihre Bestimmungsorte verschwinden. Im Haupt-Maschinenraum wird die Caterpillar-Hauptmaschine verkabelt und mit Meßmanometern versehen. Roc Davers von dem Ruderanlagenlieferanten, van der Velden, schließt seinen Computer an das neu entwickelte Überwachungstableau der Ruderanlage an. Der Techniker des Getriebelieferanten Reintjes, sitzt bereits mit Meßblatt, Schreibgerät und obligatorischer Taschenlampe vor dem Wendeuntersetzungs-Getriebe.
Oben, im Steuerhaus, herrscht Hochbetrieb: Konzipiert und gebaut ist es als ”Ein-Mann-Fahrstand”. Doch heute ist jede Ecke in der Befehlszentrale des Neubaus ausgefüllt: Vertreter der Klassifikationsgesellschaft Lloyds Register, der Elektriker von Eekels / TBI techniek, er liegt bereits unter dem Fahrstand und sortiert noch letzte Kabel und Verbindungen, sowie Kapitän Pier Muurling und Reedereimitarbeiter drängen sich um den Steuerstand.
Werftvertreter sorgen für Tassen und jede Menge frisch gebrühtem Kaffee sowie Mengen von belegten ”Broodjes”.
Am 30. Januar 2016 wurde bei der GS Yard termingerecht das neunte einer Serie von zwölf neuentwickelten Fluss-Seeschiffen zu Wasser gelassen. Und Mitte April 2016, nach einer extrem kurzen Bauzeit von 6 Monaten, ging der Neubau, MS LADY ALIDA, auf Probefahrt.
Nach Aussagen der Reederei Wijnne Barends, Delfzijl, werden die Schiffe im Nord- / Ostseeverkehr für Holz-, Getreide und Container eingesetzt. ”Gefahren wird alles von der Kartoffel bis zum Container” so Kapitän Muurling von Wijnne Barends. Aufgrund des Routenprofils, neben den Flüssen Rhein, Seine auch der Trollhättan-Kanal mit seinen vielen Schleusen sowie der finnischen und schwedischen Inselwelt, wurde besonderer Wert auf Hydrodynamik bei niedriger Antriebsleistung verbunden mit einem universell einsetzbaren Laderaum gelegt. Als Naval Architects fungierte das bekannte holländische Unternehmen Groot Ship Design B.V. Zu Beginn des Großauftrags war noch die Firma Conoship B.V. beauftragt, insbesondere eine effiziente Unterwasserform im Bereich des Achterschiffs, der Festpropeller läuft in einer optimierten Düse von Promarin, sowie einem optimierten Wulstbug, zu entwicklen, während Groot Ship Design in enger Zusammenarbeit mit der Bauwerft einen Fertigungsplan erarbeitete, der es den Groninger Schiffbauern ermöglichte in einer sehr kurzen Bauzeit das Schiff abzuliefern.
Die mit einer Tragfähigkeit von 3.700 tons dead weight (tdw) Schiffe sollen bei 88 Meter Länge und einer Breite von 13.35 Metern und einem Tiefgang von 4,30 Metern 10,8 kn laufen. Doch schon bei der Probefahrt am 13. April 2016 wurde eine Geschwindigkeit von rund 12 kn gemessen.
Modellversuche, vor Auftragsvergabe des ersten Schiffs, wurden bei dem Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) in Duisburg durchgeführt. Schon da zeigten sich sehr gute Laufleistungen gepaart mit hoher Wirtschaftlichkeit. Daniel Gausch, Geschäftsführer der GS Yard, erinnert sich: ”Wir machten mit diesem Auftrag, für eine der größten holländischen Reederei, einen Schritt in einen anderen Bereich, das heisst neben der Binnenschifffahrt nun auch die Seeschifffahrt. Für uns bedeutete das natürlich eine hohe Akzeptanz für unsere bisher geleistete Arbeit und auch einen Imagegewinn – heute können wir mit Recht sagen dass sich dieser Schritt als richtig erwiesen hat”.
Die Schiffe wurden als Einschrauber konzipiert und erhielten als Hauptantrieb einen Achtzylinder Caterpillar-Motor in V-Konfiguration.
Der Cat-Motor, Typ 3508C, überträgt seine Leistung von 746 kW bei 1.600/min über eine Kupplung von Vulkan in ein Reintjes-Getriebe, Typ WAF 572L, auf einen 5-flügeligen Promarin-Festpropeller der einen Durchmesser von 2,30 m hat.


Neben der Hauptmaschine im achterlichen, großzügig bemessenen Maschinenraum, ist noch ein geräuschgekapseltes Bordstrom-Aggregat, von Pon-Power, untergebracht. Der eingebaute Caterpillar-Motor Typ C6.6 ACERT DITA, gibt seine mechanischen 156 kW an einen Stamford-Generator ab. Ballast- und Lenzpumpen, Warmwasserbereiter und die Rudermaschine inklusive Ruderhydraulik von Van der Velden ergänzen den Maschinenraum. Veth B.V. lieferte den Bugstrahler der seine elektrische Antriebsleistung von einem Veth-Genset mit einemScania-Reihenmotor, Typ DI 12 59M, mit 331 kW erhält.
Auf dem Poopdeck, in einem separatem Raum, steht ein Notdieselaggregat vom Typ CAT 1104C-44TAG, der eine mechanische Leistung von 75kW an einen LS-Generator abgibt.
In dem von der Werft gebauten Steuerhaus, mit Hubschacht und Hebetechnik, ist die gesamte nautische Ausrüstung von Radio Holland untergebracht.
Die umfangreiche elektrische und elektronische Ausrüstung auf der LADY ALIDA wurde durch das Unternehmen Eekels/TBI techniek BV geliefert und installiert.
Die sieben Mann Besatzung, bestehend aus einem Kapitän, zwei Steuerleuten, einem Maschinisten sowie drei Matrosen, haben ihre geräumigen und komfortablen Einzelkabinen auf dem Hauptdeck.
Dass sich die Besatzung an Bord wohl fühlt, dafür sorgt das Unternehmen „Tischlerei und Alubau Wessels GmbH“, aus Haren / Ems. Seit rund 100 Jahren ist die Firma in den drei Segmenten Tischlerei, Alu- und Stahlbau für die Schifffahrt tätig. „Alles aus einer Hand“ ist das Motto der Emsländer. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch bei der LADY ALIDA umfangreiche Arbeiten durch die Harener erstellt wurden. Dazu gehörten zum Beispiel die gesamte Erstellung der Mannschaftsräume inklusive aller Möbel und Einrichtungen sowie die Einrichtung im Steuerhaus.
Zwischenzeitlich haben zwei Assistenzschlepper den Neubau unter ihre Fittiche genommen und bugsieren die LADY ALIDA gekonnt aus dem engen Delfzijler Hafenbecken. Das leichte Vibrieren im Schiffsrumpf, der für die Probefahrt mit rund 80% Ballastwasser gefüllt wurde, zeigt den Beginn des ”Sea Trials” an. Nach rund 20 Minuten ist das Emsfahrwasser erreicht und von nun an wird ein genau vorgeschriebenes Testprogramm durchfahren.
Den Anfang macht das Stoppmanöver aus voller Fahrt voraus. Das ist schon eine gewaltige Belastung für Schiff und Maschine, wenn der vorausdrehende Propeller in einem Crash-Manöver auf Voll-Zurück gelegt wird. Das Schiff bebt und vibriert bis es nach einigen Minuten zum Stillstand kommt. Die benötigte Zeit wird gemessen und Henk Bakker, LR, ist zufrieden mit dem Ergebnis. ”Und wenn wir schon dabei sind, dann probieren wir doch gleich mal die Anker aus”. Kapitän Pier Muurling gehorcht und gibt das Kommando an seine Decksbesatzung weiter. Aus dem Brückenlautsprecher rauscht und kracht es als die Anker auslaufen. Jetzt kommt es darauf an ob die Anker das Schiff im Strom halten. Doch auch hier sind die Kontrolleure zufrieden. Der Heckanker wird nur auf Funktion geprüft. Ausweichmanöver stehen nun auf dem Programm. Nachdem die Hauptmaschine wieder hochgefahren und das Schiff auf eine Geschwindigkeit von 10 kn gebracht wurde, wird nun gemessen, wie schnell das Schiff bei vorgegebener Ruderlage einem eventuellen Hinderniss ausweichen kann. Und das jeweils in Backbord- und Steuerbordruderlage.
Und so wird Punkt für Punkt auf den Listen der Reederei und LR-Mitarbeiter abgearbeitet. Rund zehn Stunden ist der Neubau auf dem Emsrevier unterwegs und wird auf ”Herz und Nieren” geprüft. Erst dann sind die Vertreter von Wijnne Barends und LR zufrieden. Sie geben die notwendige Bescheinigung: ”Vom Auftraggeber und LR abgenommen”. Daniel Gausch strahlt: kann er doch in in wenigen Tagen die LADY ALIDA an seinen Kunden, Wijnne Barends, übergeben.
Lloyds Register of Shipping drückte dem Schiff seinen Stempel in Form von: ”+100A1 General Cargo Ship + LMC, UMS, SCM mit dem Zusatz: strengthened for heavy cargoes; use of grabs of max 8 ton; timber deck cargoes; bottom strengthening for loading and unloading aground; carriage of dangerous goods” auf.
Darüberhinaus wurde das Schiff in Übereinstimmung mit allen maritimen Vorschriften gebaut.

Beitragsfoto: P. Pospiech

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Dipl. -Ing. Peter Pospiech
Redaktionsleitung bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Schiffsbetriebstechnik, Transport, Logistik, Schiffahrt, Hafen und dem weitreichenden Thema Umweltschutz sowie gesetzliche Auflagen für Antriebsmaschinen.