MS ALBATROS – „Weiße Lady“ genießt Ausnahmestellung auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt

Die ALBATROS am Ostseekai in Kiel, anlässlich der Kieler Woche über die Toppen geflaggt.
Die ALBATROS am Ostseekai in Kiel, anlässlich der Kieler Woche über die Toppen geflaggt. © Kai Ortel

Mit ihren 43 Dienstjahren gehört die ALBATROS zusammen mit den Schwesterschiffen BLACK WATCH und BOUDICCA mittlerweile zu den ältesten aktiven Kreuzfahrtschiffen. Doch an eine Außerdienststellung des populären Schiffes ist nicht zu denken, was nicht nur seiner soliden Bauweise und guter Pflege, sondern auch einem neuen „Herzen“ geschuldet ist.

Bei ihrer Indienststellung 1972/73 gehörten die ROYAL VIKING STAR, ROYAL VIKING SKY und ROYAL VIKING SEA zu den luxuriösesten Kreuzfahrtschiffen der Welt. Die norwegische Royal Viking Line war mit dem Trio damals in eine lukrative Marktlücke gestoßen, die es 1982/83 sogar nötig machte, die Schiffe auf der Seebeckwerft in Bremerhaven von 177 auf 205 Meter verlängern zu lassen; die Passagierkapazität wuchs dadurch von 536 auf 812 Personen. 1987 jedoch wurde die Royal Viking Line verkauft, und nach der Indienststellung zweier neuer Schiffe, der ROYAL VIKING SUN (1988) und der ROYAL VIKING QUEEN (1992), trennten sich die Wege der drei schönen Schwestern. Die jüngste davon, die ROYAL VIKING SEA, wechselte 1991 als ROYAL ODYSSEY an die Royal Cruise Line und 1997 als NORWEGIAN STAR an die Norwegian Cruise Line. 2004 schließlich kaufte die aufstrebende niederländische Reederei Club Cruise das Schiff, vercharterte es jedoch umgehend weiter an den deutschen Reise-Veranstalter Phoenix Reisen, der seit 1988 bereits mit der MAXIM GORKIY im Kreuzfahrtgeschäft tätig ist. Phoenix Reisen war Ende 2003 gezwungen gewesen, seinen durch einen irreparablen Maschinenschaden ausgefallenen Oldtimer ALBATROS kurzfristig durch ein passendes Ersatzschiff zu ersetzen – und da kam die ehemalige ROYAL VIKING SEA gerade richtig.

Doch das Los des in ALBATROS (2) umbenannten Schiffes war kein leichtes, denn sein Namensvorgänger war beliebt gewesen. 1957 als Cunard-Liner SYLVANIA gebaut, hatte die erste ALBATROS wie kaum ein anderes Passagierschiff den Charme der „guten alten Zeit“ versprüht und damit schon damals ein Publikum angezogen, das mit modernen Kreuzfahrtschiffen für zwei- oder dreitausend Gäste so gar nichts anfangen konnte. Als die ALBATROS (1) 1993 zur Phoenix-Flotte stieß, war sie zudem schon 36 Jahre alt gewesen und bei ihrem Ausscheiden zehn Jahre später stolze 46. Würde dem Nachfolgeschiff eine ähnlich lange Lebensdauer beschieden sein? Und ob! Denn ihr neuer Eigner Club Cruise hatte bereits beim Kauf des Schiffes eine Neumotorisierung des 1973 gebauten Kreuzfahrers beschlossen, dessen Maschine mit der Zeit nicht nur immer lauter geworden war, sondern auch zunehmend für Vibrationen gesorgt hatte. Im Rahmen eines dreimonatigen Werftaufenthaltes bei Blohm & Voss Repair in Hamburg wurde die ehemalige ROYAL VIKING SEA daher im Herbst 2005 einer Operation „am offenen Herzen“ unterzogen, bei der ihre vier alten Neun-Zylinder-Dieselmotoren vom Typ 9ZH 40/48 (13.240 kW) durch vier neue Sechs-Zylinder-Dieselmotoren vom Typ 6L38A (15.840 kW) ersetzt wurden. Acht Mio. € ließ sich die niederländische Reederei diese Neumotorisierung kosten, die vom 27. September bis zum 20. Dezember 2005 dauerte, die dem Schiff aber mindestens 20 weitere Lebensjahre auf den sieben Weltmeeren bescheren sollte. Als die ALBATROS am 27. November 2008 wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit ihres Eigners Club Cruise im Hafen von Vigo arretiert wurde, dauerte es daher auch nicht lange, bis sich ein Käufer für das Schiff fand. V-Ships aus Monaco übernahm die ALBATROS, an deren Charter an Phoenix Reisen sich jedoch nichts änderte.

Die „Builder’s Plate“ der ROYAL VIKING SEA – an Bord der ALBATROS prominent auf dem Lido-Deck platziert.Auf dem Salondeck der ALBATROS wacht ein Wandbild der 1957 gebauten Namensvorgängerin über den Eingang zum Restaurant.Terrassenförmige achtere Sonnendecks, hier mit Luftballons in den Reedereifarben geschmückt, weisen die ALBATROS als Passagierschiff-Klassiker aus.

 

Acht Jahre ist auch dies nun schon wieder her, und inzwischen ist die ALBATROS so unverwüstlich und gleichzeitig so beliebt wie kaum ein zweites Kreuzfahrtschiff auf dem deutschen Markt. Zu ihrer Ausnahmestellung hat auch die Fernsehserie „Verrückt nach Meer“ beigetragen, von der die ARD seit 2009 nicht weniger als sechs Staffeln gedreht hat, die ersten drei davon auf der ALBATROS. Seitdem trägt das Schiff den Beinamen „Die weiße Lady“, und in den Filmsequenzen hat nicht zuletzt ihr (im Gegensatz zum ZDF-Traumschiff äußerst realer) Kapitän Morten Hansen ein- ums andere Mal bewiesen, wie sehr das Schiff ihm und seinen Anhängern ans Herz gewachsen ist. Wir besuchen die ALBATROS im Juni 2016 im Kieler Hafen. Der mittlerweile 43 Jahre alte „Oldtimer“ hat dort neben der nagelneuen MEIN SCHIFF 5 von TUI Cruises festgemacht, und kaum ein Bild könnte stärker verdeutlichen, wie sehr sich die Zeiten geändert haben seit den 1970er Jahren, als die Royal Viking Line (die es längst nicht mehr gibt) sich anschickte, mit drei Schiffen den damals noch im Entstehen begriffenen modernen Kreuzfahrtmarkt aufzumischen. Einem schwimmenden Hochhaus gleich ragen die Aufbauten der MEIN SCHIFF 5 am Ostseekai in den Himmel, die ALBATROS dagegen besticht nicht nur durch ihre am Heck klassisch terrassenförmig abgestuften Decks, sondern auch durch liebvolle bunte Luftballon-Girlanden, mit denen die Crew das Schiff anlässlich der Kieler Woche geschmückt hat. Diese und andere kleine Gesten sind es, mit denen Phoenix beim überwiegend älteren und fast ausschließlich deutschen Publikum punktet. Ein Party-Liner ist die ALBATROS dagegen nicht. Das Durchschnittsalter an Bord liegt mehr bei 55+ als bei 45+, und Kinder sind an Bord eher die Ausnahme als die Regel. Ein einziges ist auf dieser Kreuzfahrt, die am Folgetag in Bremerhaven endete, an Bord gewesen. Andererseits: Das Schiff ist regelmäßig ausgebucht, so auch auf der kommenden Reise, welche die ALBATROS nach Island und Spitzbergen führte. Und eine weitere Besonderheit: Es darf geraucht werden an Bord; fast alle Bars und Lounges sind fein säuberlich in Raucher- und Nichtraucherbereiche getrennt. Auch mit dieser Politik zieht Phoenix ein Publikum an, das sich von anderen Reedereien in dieser Hinsicht mitunter im Stich gelassen fühlt.

Und wie lange hält die „Weiße Lady“ noch durch? Bis 2020 sei sie bei Phoenix fest eingeplant, hören wir an Bord. Und bis dahin werde sie natürlich „gehegt und gepflegt“, wobei der Firma V-Ships als Eignerin der ALBATROS eine wichtige Rolle zukommt. 47 Jahre alt wird sie im Jahr 2020 sein, ein fast biblisches Alter für ein Schiff, selbst für ein Passagierschiff. Womit sie dann übrigens an Dienstjahren auch ihre Namensvorgängerin überholt hätte. Letztere wacht bis dahin in Form eines Ölgemäldes auf dem Salon-Deck darüber, dass auch die zweite ALBATROS ihrem Ruf als „ungezwungener, klassischer Ozeanliner“ gerecht wird. Man möchte annehmen, dass ihr dereinst auf einem wie auch immer gearteten Nachfolgeschiff eine ähnliche Rolle zukommt wie dem Turbinenschiff aus Cunard-Zeiten an der Restaurant-Wand der ehemaligen ROYAL VIKING SEA.
www.phoenixreisen.com

Technische Daten MS ALBATROS
Bauwerft : Wärtsilä, Helsinki (Finnland), 1973
Ex-Namen : Royal Viking Sea (-91), Royal Odyssey (-95), Norwegian Star (-2001), Crown (-2004)
Eigner : V-Ships, Monaco
Reederei : Phoenix Reisen, Bonn
Flagge : Bahamas
Heimathafen : Nassau
IMO-Nummer : 7304314
Rufzeichen : C6CN4
Länge : 205,46 m
Breite : 25,20 m
Tiefgang : 7,55 m
Tonnage : 28.518 BRZ
Leistung : 15.840 kW
Motoren : Vier 6 Zylinder Wärtsilä-Dieselmotoren
Geschwindigkeit : 22 Knoten
Passagiere : 824 (1.000)
Kabinen : 449
Besatzung : 424

Beitragsbild: Kai Ortel

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Kai Ortel
Redaktionsmitglied bei VEUS-Shipping.com mit Schwerpunkt Kreuz- und Fährschifffahrt.