Mit dem Ankauf des 1933 bei Blohm+Voss in Hamburg gebauten Segelschulschiffes, das nach dem 2.Weltkrieg Reparationsgut der UdSSR wurde, hat der Verein Tall-Ship Friends e.V. 2003 ein nicht unbedeutendes Stück deutscher Marine- und Seefahrtsgeschichte wieder nach Deutschland geholt. Ein historisch einmaliger Vorgang.
Die Geschichte des Schulschiffes GORCH FOCK(I) begann mit dem Untergang des Segelschulschiffes NIOBE der Reichswehr, das im Sommer 1932 in einer Gewitterböe bei Fehmarn sank und 69 Männer in den Tod riss. Mit der “Volksspende Niobe“ wurden in der Zeit der Weltwirtschaftskrise von der deutschen Bevölkerung ca. 200.000 Reichsmark gesammelt, (20% der Bausumme) um der Reichsmarine einen Schiffsneubau zu ermöglichen.
Nach nur 100 (!) Tagen Bauzeit lief am 3. Mai 1933 bei der Werft Blohm+Voss in Hamburg eine 82m lange Bark vom Stapel. Sie wurde nach extremen Sicherheitsvorschriften konstruiert um eine Wiederholung der Niobe-Katastrophe zu vermeiden. Das neue Segelschulschiff wurde in 7 wasserdichte Abteilungen aufgeteilt und konnte sich aus einer Schräglage von 90°(!) wieder aufrichten.
Getauft wurde das Schiff auf den Namen GORCH FOCK, Pseudonym des Schriftstellers Johann Kinau aus Finkenwerder bei Hamburg, der sein Leben beim Untergang des kleinen Kreuzers Wiesbaden in der Schlacht am Skagerrak am 31.Mai 1916 verlor.
Bei Beginn des 2.Weltkrieg kam der Ausbildungsbetrieb zum Erliegen. Die GORCH FOCK wurde nach Lauterbach, später nach Stralsund verlegt. Am 30. April 1945 versenkten Pioniere der Wehrmacht das Schiff auf seiner Ankerposition vor der Halbinsel Drigge im Strelasund.
1946 ordnete die Sowjetische Militäradministration die Hebung der Bark an. Ab 1947 wurde das Segelschiff an Schiffwerften in Stralsund, Rostock und Wismar wieder aufgebaut. Im Materialmangel der Nachkriegszeit musste jedes Stück Metall wiederverwendet werden, so auch der Messingreifen des Doppelruders, der von den Werftarbeitern umgekehrt montiert wird, so dass der Schiffsname „Segelschulschiff Gorch Fock“ und das Motto „Gott mit uns“ nicht lesbar sind.
1951 lief die Bark unter dem Namen TOWARISCHTSCH (Kamerad) Schulschiff der UdSSR- Handelsmarine mit Heimathafen Kherson am Dnepr nahe des Schwarzen Meeres.
Das Schiff segelte mit dem verdeckten alten Namen und dem Motto, dass auch russischen Seeleuten offensichtlich Glück bringt, 400.000 Seemeilen ohne Unfall.
Zur Operation Sail segelt die Bark 1976 erstmals in die USA. 1996 gewinnt sie das Cutty Sark Tall Ships Race von Kotka nach Kopenhagen. Bei Auflösung der Sowjetunion (1990) verblieb das Schiff in seinem ukrainischem Heimathafen Kherson und bildete weiter Nautiker und Maschinisten aus, jetzt unter ukrainischer Flagge.
Neben “echten“ Seefahrtschülern nahm die TOWARISCHTSCH ab 1991 auch Windjammerfans auf ihren Reisen mit. 12 Nationen segelten in den folgenden Jahren auf Grund von Vermittlungen von Tall Ship Friends e.V. auf der Bark. Auch 1992 im Columbus Race nach Nordamerika.
Zu ihrem 60. “Schiffsgeburtstag“ kam die Bark 1993 nach Rostock, danach wird das (Schiffs-) leben schwer: Die Liste nötiger Reparaturen war lang, Mittel für Reparaturen in der Ukraine nicht verfügbar. Der Verein Tall Ship Friends konnte eine Reparatur in England vermitteln. TOVARISHCH segelte mit ökonomischer Hilfe von Tall-Ship Friends nach Newcastle upon Tyne.
In der Werft zeigte sich der Reparaturbedarf der TOVARISHCH deutlich größer, als erwartet, die verfügbaren Mittel reichten nicht, die Reparaturen kamen nicht in Gang. Ein wegen abgelaufener Papiere verhängtes Auslaufverbot der britischen Aufsichtsbehörde verlegte dem Schiff den Rückweg in die Heimat.
Tall-Ship Friends U.K. sammelte Lebensmittelspenden für die Mannschaft und beschaffte Diesel für die Generatoren des festliegenden Schiffs. Tall Ship Friend e.V. organisierten in Deutschland die regelmäßigen Crewwechsel von Newcastle via Hamburg und Berlin nach Kherson.
Wieder in Deutschland
1999 vermittelt Tall-Ship Friends einen Liegeplatz zur „Expo am Meer 2000“ in Wilhelmshaven, in der Hoffnung die Reparaturen in Deutschland bewerkstelligen zu können. Aber auch in Deutschland scheiterten Reparaturversuche am Reparaturumfang und unzureichenden Mitteln.
Im Sommer 2003 bot der ukrainische Schiffseigner das Schiff zum Verkauf an, im September 2003 kaufte der Verein Tall-Ship Friends e.V. die Bark vom Bildungsministerium der Ukraine. Weil das Schleppen des Schiffes nicht genehmigt wurde, lies Vereinsvorstand Wulf Marquard die Bark kurzerhand verladen und in einem Dockschiff nach Stralsund bringen, wo Oberbürgermeister Lastovka für einen Liegeplatz gesorgt hatte.
Die Transportkosten verschlungen fast alle die für die erste Trockenstellung des Schiffes an der Volkswerft vorgesehenen Mittel, aber am 29. November 2003 verholte die Bark wie geplant in den Stadthafen von Stralsund. Nach 54 Jahren wurde die Bark wieder auf ihren alten Namen GOCH FOCK getauft – begleitend von den Klängen der Nationalhymne steigt die Bundesflagge an die Gaffel.
Freiwillige demontierten in der Folgezeit unbrauchbare Einrichtungen und veraltete Technik. Etagenbetten aus den Divisionsräumen, Klappsitze aus dem Schulraum, die komplette Kombüse, die Werkstätten. Zeitgleich wurde am Aufbau eines Museums im ehemaligen Speiseraum der Studenten begonnen.
Die Bauwerft Blohm+Voss spendierte neue Barrings, die deutsche Marine 44 Rettungsinseln, eine Hamburger Firma ein Bugstrahlruder, die Salzgitter AG 200 qm Schiffbaustahl zur ersten Sanierung des Unterwasserschiffes. Die Klassifikationsgesellschaft DNVGL und die BG-Verkehr (Seeberufsgenossenschaft) begleiteten das Projekt wohlwollend.
Aufträge von mehr als 1,5 Mio € wurden bisher in der Region vergeben.
Der Rückbau der GORCH FOCK (I) nahm sichtbare Fortschritte an, was auch unabhängige Fachleute anerkannten. Die Kombüse entstand neu, Kartenhaus und Kapitänssalon, der auch Tauraum für bisher fast 400 Paare war. Zwei neue Rahen wurden montiert. Das große Doppelruder glänzte wieder in alter Pracht. Aber nicht alles lief rund: Die Anzeigen bei Polizei und Behörden ebbten nach zwei Jahren langsam ab. Obwohl das Arbeitsamt ABM-Kräfte für die GORCH FOCK(I) für zulässig erachtete, hintertrieb die Jobcenterführung alle Bemühungen nach Stasimanier.
Wir schafften unsere Arbeit auch ohne ABM.
Trotz Anstrengungen Stralsund ein Highlight zu bereiten, wurde 2008 der 75.Geburtstag der Bark nur leise, im kleinen Rahmen, an Bord gefeiert. Tall Ship Friends e.V. erarbeitete auf Wunsch von OB Lastovka eine Vorlage mit der Großsegler nach Stralsund eingeladen werden sollten und hierfür schon frühzeitig bestehende Kontakte zur SAGRES, EAGLE, MIRCEA und anderen Schiffen genutzt. Die Vorlage von Tall Ship Friends (der Verein verfügte 2008 unter seinem Vorstand Wulf Marquard, über mehr als 20 Jahre Erfahrung in Betreuung und Betrieb von Großseglern) wurde von der Verwaltung so „zerrechnet“, dass die Veranstaltung mit € 50.000 nicht mehr finanzierbar war. Von der Hansesail Rostock aufgegebene Kostenpositionen wie Bewirtung der Schiffsführungen waren in Stralsund plötzlich um den Faktor 2,5 teurer.
2010 ließen die Stadtwerke die Elektroversorgung der GORCH FOCK(I) kappen, weil eine (von 9) Rechnung nicht fristgerecht ausgeglichen wurde, benötigten aber selbst drei Jahre um den Sponsorenvertrag mit der GORCH FOCK(I) zu erneuern. Schaden für das Schiff im Stadthafen: €45.000.
Die vielen Schäden, die im Laufe der Zeit an dem Schiff nagten, kamen erst 2008 ans Licht, nachdem Vereinsmitglieder in der Volkswerft ca. 100 Tonnen Ballast aus dem Schiff geräumt haben (und wieder rein!). Es war klar, dass der Eignerverein die nötigen Reparaturen nicht ohne Hilfe bewältigen konnte.
Nachdem das Wirtschaftsförderungsamt der Hansestadt zweimal (unter verschiedener Leitung) mitteilte, dass man keine Fördermöglichkeiten für die GORCH FOCK (I) sehe, bemühte sich der Schiffseigner 2012 selbst um Hilfe. Alle Möglichkeiten, auch ein Ankauf des Schiffes durch die Stadt Stralsund, wurden erörtert. Wegen einer Überschreitung von nur 20 cm(!) durch höheren Wasserstand, lies das Wasser- und Schifffahrtsamt 2015 die Verschleppung zur Volkswert nicht zu (Mehrkosten beim Verein €20.0000). Die Bemühungen, das Schiff in Stralsund zu bewahren, endeten nach vielen Mühen und Kosten, ohne Erfolg: 2016 kündigte der Schiffseigner die Exklusivität der Gespräche mit der Stadt Stralsund nach monatelangem Stillstand auf.
Während des laufenden Förderantrages nahm der Vereinsvorstand in 2017, wie üblich im Vorfeld von Reparaturen, Kontakt zur Volkswerft auf. Es stellt sich heraus, dass die Reparaturabteilung geschlossen wurde und damit eine Reparatur vor Ort nicht mehr möglich war.
Auf Vermittlung von der Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel kam doch noch ein Reparaturangebot der MV-Werften am Standort Stralsund zustande. Das Reparaturangebot der Werft konnte aber nicht angenommen werden, weil die erwartete Ankündigung der 2012 von der Stadt Stralsund beantragten Förderung ausblieb. Für die GORCH FOCK (I) blieb jetzt nur noch die Peene-Werft in Wolgast. Der zusätzliche Weg nach Wolgast und zurück sollte dem Verein ca. € 30.000 kosten.
Mit dem PSV Stralsund (Pommerscher Sportverein Stralsund e.V.) baute der Schiffseigner das größte Hallenhandballturnier des Landes auf – mehr als 1000 Hotelübernachtungen in Stralsund generiert und begrüßte jährlich gut 50.000 Besucher an Bord. An Bord getraute Paare kommen jährlich zum Hochzeitstreffen freiwillig an den „Tatort“ zurück. Schüler informieren sich über maritime Berufe auf der jährlich an Bord veranstalteten Berufsbörse. Freunde reisen auf eigene Kosten regelmäßig aus München, Frankfurt und anderen Städten an, um unsere kleine „Brigade“, die aus 4 Vollzeit und zwei Teilzeitkräften besteht, an Bord zu unterstützen. Sie wird im Winter nicht entlassen, wie in anderen Branchen üblich, obwohl die Tageseinnahmen oft unter 50 € fallen. Über mehr lokales Engagement und helfende Hände würde sich unsere kleine Crew auf der GORCH FOCK(I) schon freuen.
Autor: Vorstand Tall-Ship Friends e.V. Wulf Marquard