Der Unterausschuss „Schifffahrt und Häfen“ des niedersächsischen Landtags hatte auf seiner Sitzung am 6. Februar 2018 in Hannover ein aktuelles Thema auf der Tagesordnung: „Unterrichtung von der Landesregierung über den Vorgang der Havarie des Frachters GLORY AMSTERDAM sowie die Arbeit des Havariekommandos in diesem Zusammenhang“. Im Protokoll heißt es dazu lapidar: „Der Unterausschuss nahm die Unterrichtung entgegen und führte darüber eine Aussprache.“
Nach Presseberichten mussten sich Landesregierung und der anwesende Leiter des Havariekommando (HK) kritischen Fragen der Abgeordneten stellen. HK-Leiter Monsees konterte die Fragen mit Kritik und Vorwürfe (nach dem Motto: Schuld sind immer die Anderen) unter anderem gegen den Kapitän der GLORY AMSTERDAM, den von der Bundesregierung gecharterten Notschlepper NORDIC und das von der Reederei mit dem Freischleppen des gestrandeten Massengutfrachters beauftragte Bergungsunternehmen.
Anwalt weist Kritik an Frachter-Kapitän zurück
Nach Angaben der Cuxhavener Nachrichten vom 7. Februar nutzte der HK-Leiter am Dienstag bei einer Anhörung zur Havarie im Niedersächsischen Landtag die Gelegenheit, schwere Vorwürfe gegen den Kapitän des Frachters zu erheben: „Dieser habe widersprüchliche Angaben zur Manövrier- und Fahrtüchtigkeit des Schiffes gemacht und Schleppversuche mit seiner Mannschaft nicht optimal unterstützt“, sagte der HK-Leiter im Unterausschuss für Schifffahrt und Häfen des Landtags.
„Das Kommando hätte die Strandung des Schiffes im Oktober vergangenen Jahres vor Langeoog „verhindern können oder sogar müssen“, betonte jetzt der Anwalt Claas Brons aus Emden, der den chinesischen Kapitän des Frachters vertritt. In einem Brief an diese Zeitung widerspricht Anwalt Brons der Darstellung in Medienberichten, demzufolge der Kapitän der GLORY AMSTERDAM sich aufgrund des Sturms geweigert habe, eigene Männer an Deck zu schicken, um Schleppleinen anzunehmen. Brons erklärt: „Es sei die Crew gewesen, die die Leinenverbindung auf dem Frachter hergestellt habe“ https://www.cn-online.de
Die Kieler Nachrichten berichten dagegen noch am 8. Februar: „Die Sichtung der Einsatzprotokolle hat laut Wasserschutzpolizei ergeben, dass durch die fehlende Kooperationsbereitschaft mit dem Notschlepper bei den ersten Bergungsversuchen eine rechtzeitige Bergung verhindert wurde und es deshalb zur Strandung vor Langeoog kam.“ http://www.kn-online.de
NORDIC aus Lobbyismus entstanden?
Auch den Notschlepper NORDIC, der trotz schwerem Wetter in der Brandung eine Notschleppverbindung zu der treibenden GLORY AMSTERDAM herstellen konnte und auf dem Kapitän und Besatzung bis an ihre Einsatzgrenzen gingen, kritisierte der HK-Leiter. Die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) veröffentlichte am 6. Februar einen Bericht über die Unterausschuss-Sitzung online, in dem es u. a. heißt: „Die NORDIC sei aus Lobbyismus entstanden und für Rettungseinsätze nicht so ideal, wie es von der Reederei dargestellt wird“, sagte Monsees.“ https://www.noz.de
Unerwähnt blieb durch den Leiter der Cuxhavener Koordinierungseinrichtung, dass die Anforderungen an den gecharterten Notschlepper von Politik und Verwaltung festgelegt worden waren. Im Gegensatz zu einem vom HK-Leiter in Auftrag gegebenen Gutachten (siehe nachfolgende Werte in Klammern) hatte der Bundestag deutlich höhere Leistungsanforderungen festgelegt – mindestens 200 (170) t Pfahlzug und 19,5 (17,5) Knoten Geschwindigkeit bei 6 Meter Tiefgang sowie umfassenden (keinen) Schutz gegen gefährliche Gase. Hat Monsees diese nachweisbaren Fakten (wissentlich?) vergessen?
Die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) hatte in einer europaweiten Ausschreibung auf knapp 40 Seiten diese Leistungsanforderungen ergänzt und mit den üblichen Ausschreibungsunterlagen veröffentlicht. Zusätzlich zu den Bundestagsanforderungen sollte der Notschlepper mit einer „Abwinschfläche für Hubschrauberversetzungen“ nach den Richtlinien des Bundesverkehrsministeriums ausgerüstet sein, „Einrichtungen zur Verringerung übermäßiger Schiffsbewegungen bei Fahrt und Halten auf Position“ waren anzugeben und „aktive und passive Rolldämpfungssysteme und in ihrer Wirkung vergleichbare Schiffskonstruktionen“ waren ebenso anzugeben und wurden von der WSV bewertet. Auch die Schleppdraggen-Ausrüstung wurde von der WSV detailliert beschrieben: „Es sind ausreichende Chainchaser in geeigneter Größe vorzuhalten, um über die ausgefahrene Ankerkette eines Havaristen eine Schleppverbindung herstellen zu können. Ersatzweise z. B. Suchdraggen.“ Sogar ein „Laser-Abstandsmessgerät; Reichweite min. 1.000 m, Messgenauigkeit ca. +- 10 cm“ forderte die WSV von ihrem zukünftigen Notschlepper.
Und die Arbeitsgemeinschaft „Küstenschutz“, die die europaweite Ausschreibung gewonnen hat, hat mit der „Nordic“ einen Notschlepper bauen lassen, der diese Anforderungen in vollem Umfang erfüllt. Denn vor Charterbeginn wurde der Neubau von der WSV „auf Herz und Nieren“ geprüft und kontrolliert, ob alle Anforderungen zur Zufriedenheit der Verwaltung erfüllt wurden.
Merkwürdig ist, das HK-Leiter Monsees den auf die Anforderungen der WSV maßgeschneidert gebauten Notschlepper erst sechs Jahre nach Charterbeginn und mehreren erfolgreichen Einsätzen der NORDIC kritisiert.
„Kommerziell motivierte“ Verzögerungen beim Freischleppen?
Der Weser-Kurier berichtete in seiner Online-Ausgabe am 06. Februar: „Die ebenfalls kritisierte Dauer der Bergungsoperation selber – das ließ Monsees durchblicken – sei von dem Unternehmen möglicherweise auch kommerziell motiviert gewesen. Bezahlt werde die Firma nach Aufwand und Einsatztagen.“
Eine Unterstellung des HK-Leiters, der die staatliche Aufsicht über die Planung, Vorbereitung und Durchführung des Freischleppens hatte.
Zur Erklärung: Dafür, dass das beauftragte, niederländische Bergungsunternehmen SMIT Salvage das Freischleppen nicht verzögert, um die Kosten zu erhöhen, sorgt im Auftrag von Reederei und Versicherung ein „Warranty Surveyor“. Dieser Gutachter, der die Freischlepparbeiten beaufsichtigt, muss alle Rechnungen gegenzeichnen, damit sie bezahlt werden.
Der Verzögerungsvorwurf des HK-Leiters überrascht, denn die Pressemitteilungen des Havariekommandos berichten anders. „Zusammen mit dem Bergungsunternehmen bereiten wir die Bergung Schritt für Schritt vor. Sicherheit geht bei allen Maßnahmen vor Schnelligkeit – da sind wir uns mit dem Reeder und den Bergungsexperten einig.“, erläutert Hans-Werner Monsees. „Wir hoffen, dass wir es vor dem Wochenende erledigt haben“ fasst Monsees den zeitlichen Bergungsplan zusammen“ – so ein Auszug aus der HK-Pressemitteilung Nr. 5 vom 31.10.2018. Am 1. November heißt es in der HK-Pressemitteilung Nr. 6: „Die bisherigen Vorbereitungen laufen zügiger als angenommen“ schildert Monsees die HK-Aktivitäten. Und schon am nächsten Tag berichtet das HK in der Pressemitteilung Nr. 8: „Gegen 7:15 Uhr ist es dem Bergungsteam gelungen die GLORY AMSTERDAM aus ihrer Situation zu befreien.“
Innerhalb von weniger als drei Tagen, denn erst am Montag war SMIT Salvage mit dem Freischleppen beauftragt worden, konnte der gestrandete Massengutfrachter vor Langeoog befreit werden. Dafür mussten jedoch zwei kräftige Hochseeschlepper gechartert und mit über 1.000 m schwimmfähiger Schleppleine ausgerüstet werden. Diese Spezialleinen wurden aus Norwegen nach Wilhelmshaven auf die Hochseeschlepper gebracht und nach zeitaufwändigen Vorbereitungen mit Hilfe eines Arbeitsboots eine Verbindung zum Havaristen hergestellt, damit der gestrandete, ladungslose Frachter beim Abpumpen des Ballastwassers nicht weiter auf die Sandbank treibt. Erst dann konnte mit dem Leichtern, d. h. dem Abpumpen des Ballastwassers, begonnen werden. „Insgesamt wurden 16.000 Tonnen Ballastwasser von der GLORY AMSTERDAM abgepumpt, bis sie aufschwamm.“ (HK-Pressemitteilung Nr. 8 vom 2.11.2018) Alleine für das Abpumpen des Ballastwassers benötigt ein solcher Massengutfrachter, der üblicherweise eine Pumprate zwischen 1.000 bis 1.500 Kubikmeter pro Stunde hat, beinahe einen halben Tag!
Warum?
Hat HK-Leiter Monsees den Anwesenden auf der Unterausschuss-Sitzung eine Reihe von „Fakes“ aufgetischt um vom eigenen Versagen abzulenken?
Dass es Defizite im Notfallkonzept beim Havariekommando für die deutsche Küste gibt, verdeutlicht eine Stellungnahme von Umweltminister Lies. Nach der Anhörung im Landtag erklärte der SPD-Politiker: „Wir können von Glück reden, dass bei dem Seeunfall im Herbst 2017 vor der norddeutschen Küste nicht mehr passiert ist.“ Nach dem Einsatz habe das Havariekommando selbst elf Verbesserungsvorschläge genannt. Lies bezeichnete es als ungewöhnlich, dass diese Punkte nicht früher, vor der Havarie, angesprochen worden seien. O-Ton Lies von der OZ zitiert: „Ich bin erschüttert, dass Sie erst jetzt so schnell so viele Verbesserungsmöglichkeiten aufzählen können.“
(Cuxhavener Nachrichten 7.2.2018): Die Optimierungsvorschläge beim HK beziehen sich hauptsächlich auf Erhöhung der HK-Personalstärke, Verbesserung der Pressearbeit am Unfallort und Verkürzung der „internen Abläufe“.
Eine Erklärung, warum es dem HK-Leiter mit einer „Personaldecke“ von knapp 40 Mitarbeitern nicht gelang, ein, nach Erkennen von 12 Stunden, auf die Küste zutreibendes Schiff vor einer Strandung zu bewahren, gibt es bis heute nicht. Dabei hätten die Landtagsabgeordneten nur auf eine Erläuterung der für solche Einsätze vom Havariekommando geplanten und vorgesehenen Konzepte, Verfahren und Anweisungen bestehen brauchen. Stattdessen hörten sie zu, wie der HK-Leiter, dieser gemeinsamen Einrichtung von Bund und Küstenländer zur Koordinierung eines gemeinsamen maritimen Unfallmanagements, Märchen erzählt. Die Nordwest-Zeitung vom 7.2.: „Der Chef des Havarie-Kommandos, Hans-Werner Monsees („Es hat kein Informationsdefizit gegeben“), weist alle Kritik an seiner Einrichtung zurück und betreibt seinerseits heftige Medienschelte. Er spricht von „vielen Falschvorwürfen“.
Vor allem: „Die Strandung konnte nicht verhindert werden“, lautet das Fazit des Havarie-Koordinators, der den Einsatz persönlich leitete.