125 Jahre Dieselmotor

Der große Irrtum von 1897 und die Folgen

Für Rudolf Diesel begann nach den Messungen, die Professor Moritz Schröter vom Polytechnikum München im Frühjahr 1897 vorgenommen hatte, und der Vorstellung des Motors auf der VDI Hauptversammlung im Juni jenes Jahres in Kassel, die Vermarktung seiner Patentrechte im Ausland. In Deutschland konnten nur Krupp und die Maschinenfabrik Augsburg Lizenzen vergeben. Immerhin hatte Diesel bis Mitte 1898 bereits in 17 Ländern 87 Patente anmelden lassen; sechs Jahre später waren es 141 Patente in 37 Ländern.

Die Spitze aller Lizenzverträge, die Diesel abschließen konnte, kennzeichnet der Vertrag vom Oktober 1897 mit einem US-amerikanischen Unternehmen für die Nutzung der amerikanischen Patente in den Vereinigten Staaten und in Kanada. Sein Erlös: 1 Million Mark.

Die zahlreichen Lizenzverträge brachten Diesel innerhalb kürzester Zeit ein beträchtliches Vermögen ein. Doch schon bald zeigte sich, dass mit Optimismus allein keine Erträge zu erzielen sind, besonders wenn die gelieferten Produkte nicht betriebssicher waren und den Kunden erhebliche Probleme bereiteten.

Versuchsmotor
An diesem Versuchsmotor wurden bei der Maschinenfabrik Augsburg im Frühjahr 1897 unter Aufsicht von Prof. Moritz Schröter Leistungsmessungen durchgeführt. Der Motor galt danach als „marktreif“ – ein folgenschwerer Irrtum

Die Schwierigkeiten beruhten ganz schlicht auf der Tatsache, dass es sich bei dem Versuchsmotor von 1897 nicht um eine ausgereifte Konstruktion handelte, die als Vorbild hätte dienen können. Doch Diesel berief sich auch 15 Jahre später noch auf ein Dokument vom 1. März 1897, das von den Direktoren der Maschinenfabrik Augsburg und Fried. Krupp unterschrieben worden war, in dem es heißt: „Nachdem durch die bisherigen … Versuche ein ‚verkaufsfähiger‘ Motor des Dieselschen Systems ‚konstruiert‘ und ‚erprobt‘ worden ist soll nunmehr mit der ‚fabrikationsmäßigen‘ Herstellung des Dieselmotors begonnen werden. Dieser Text bildete wenige Tage später auch den Paragraphen 1 eines neuen Vertrages zwischen Diesel und den beiden Unternehmen. Der Inhalt des Dokumentes war eine Absichtserklärung, die leider, wie man in Augsburg und Essen in den folgenden Jahren feststellen musste, keine tragfähige Grundlage hatte.

Bis zu einer brauchbaren Maschine dauerte es noch fast drei Jahre. Erst im Dezember 1899 wurde ein wesentliches technisches Problem gelöst: eine zuverlässige Zerstäubung des flüssigen Kraftstoffs im Verbrennungsraum des Motors. Riedler weist in diesem Zusammenhang völlig zu Recht darauf hin: Ohne Heinrich Buz als Leiter der Maschinenfabrik Augsburg wäre dieses Ergebnis nicht zustande gekommen, so ein Kritiker Diesels gut 15 Jahre später. Das Unternehmen musste schließlich das Konstruktionsbüro und das Laboratorium weiterführen.

Zum Schaden, den Diesels Optimismus angerichtet hat, gehört als allererstes Objekt der sogenannte Kemptener Motor von 1898. Dieser Motor ist unter anderem in die Technikgeschichte eingegangen als Beweis für eine zu früh aufgenommene Fertigung, auch wenn Rudolf Diesel das 15 Jahre nach seiner Lieferung nicht wahr haben wollte und ausgerechnet diesen Motor als Beispiel für die Marktreife des Versuchsmotors von 1897 hinstellte.

Die von Karl Buz, dem Bruder von Heinrich Buz, geleiteten Vereinigten Zündholzfabriken „Union“ erhielten für ihr Werk in Kempten statt einer Dampfmaschinenanlage den ersten Dieselmotor der Maschinenfabrik Augsburg: einen Zweizylindermotor mit einer Leistung von 60 PS bei einer Drehzahl von 180 min-1.

Auf der STG Hauptversammlung von 1912 in Berlin führte Professor Alois Riedler dazu aus: Der Motor in Kempten, den Herr Diesel ausdrücklich anführte, ist eine unglückliche, verfrühte LieferungUnd:… dieser Motor hat … alles wesentliche neu erhalten … der Motor hat eine lange Leidensgeschichte …“ Riedler weiter: „Von keiner Fabrik [gemeint sind die Lizenznehmer] ist vor 1902 ein marktfähiger Motor herausgebracht worden.“

Das kurze, verlustreiche Leben der 1898 von zwei Augsburger Bankhäusern und Rudolf Diesel gegründeten „Diesel Motoren-Fabrik Aktiengesellschaft“, ist ein viel deutlicherer Beweis für den angerichteten Schaden als der Kemptener Motor. Die Bankiers und Diesel sollten jeweils mit einem Drittel beteiligt werden. Sie zeichneten jedoch nur die Hälfte der Aktien. Die andere Hälfte wurde über eines der Bankhäuser verkauft.

Diesel behauptete später, er sei von den Bankleuten zur Beteiligung überredet worden. Doch dürfte die Gründung des Unternehmens für ihn eine Prestigefrage gewesen sein, gerade zu jenem Zeitpunkt sich an einem Unternehmen zu beteiligen, das ausschließlich für eine rasche Bedienung des Marktes mit Motoren gegründet wurde, da die Kapazitäten der Maschinenfabrik Augsburg und anderer Lizenznehmer nicht ausreichten. Nach Paul Meyer, einem Mitarbeiter in Diesels Büro in München und später in Augsburg, erfolgte die Gründung des Unternehmens in der Hauptsache auf Veranlassung von Herrn Diesel.

Allein die Firmierung bietet ein interessantes Indiz für Diesels Rolle. So lautet die Firma nicht Dieselmotoren-Fabrik“ – wie er sie nannte und sie daher in der Literatur häufig zu finden ist. Sein Name war nicht an den Begriff Motor gekoppelt. Das hatte schließlich seine Bedeutung.

Rudolf Diesel, Heinrich Buz und Moritz Schröter (v.l.n.r.)
Von links: Rudolf Diesel, Heinrich Buz und Moritz Schröter auf der VDI Hauptversammlung von 1 897 in Kassel, auf der Diesel und Schröter der Fachwelt den Motor und die Versuchsergebnisse vom Frühjahr vorstellten

Wenn sein Sohn Eugen Diesel später schreibt: Vom Frühjahr 1897 an war sein Werk so weit vollbracht, dass es von anderen weiterentwickelt werden konnte“, dann übersieht er die Pleite mit der „Diesel Motoren-Fabrik“, deren Motoren als unbrauchbar von den Kunden zurückgegeben wurden. Die Schwierigkeiten waren so groß, dass die Fertigung am 1. Juli 1900 eingestellt werden musste, um sich dann jahrelang nur mit der Liquidation zu befassen“. Die Abwicklung der Liquidation begann erst 1906.

Den Lizenznehmern Diesels ging es nicht besser. Sie hatten mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen und gaben die Herstellung der Motoren wieder auf. Die Gasmotoren-Fabrik Deutz nahm zwar auch eine Lizenz, baute jedoch nur zwei Motoren nach Augsburger Zeichnungen und einen Dieselmotor eigener Konstruktion – den ersten Dieselmotor ohne Kreuzkopf. Nachdem man den Lizenzvertrag 1902 gekündigt hatte, wurde die Entwicklung von Dieselmotoren erst 1905 – unabhängig von Lizenzen – wieder aufgenommen, um zum Zeitpunkt des Ablaufs der Hauptpatente, im Frühjahr 1907, marktfähige Motoren anbieten zu können.

Die zweite Unternehmensgründung, an der Diesel beteiligt war, betrifft die am 17. September 1898 in Augsburg gegründete „Allgemeine Gesellschaft für Dieselmotoren AG“ – kurz: die „Allgemeine“. Dieses Unternehmen war im Gegensatz zur „Diesel Motoren-Fabrik“ eine reine Verwertungsgesellschaft, ohne jede eigene Produktion.

Ihre Gründung erfolgte tatsächlich auf Wunsch von Diesel, der sich aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes entlasten und seine Familie absichern wollte. Allerdings hatte dieser Entschluss seinen Preis: Diesel musste alle seine Aktien, Beteiligungen und Rechte am Motor in diese Gesellschaft einbringen und verlor damit die Verfügungsgewalt über sein Werk. Er konnte nicht mehr unabhängig an seiner Erfindung arbeiten und musste alle Verbesserungen am Motor sowie neue Erfindungen der Allgemeinen ohne Gegenleistungen zur Verfügung stellen. Das von ihm in München geführte Ingenieurbüro zog nach Augsburg um.

Diesel erhielt für diesen Verzicht eine Abfindung in Höhe von 3,5 Millionen Mark, hatte jedoch danach kein Einkommen mehr. Er übernahm dann Prioritätsaktien der Allgemeinen im Wert von 250.00 Mark und Stammaktien im Wert von 2 Millionen Mark.

Hatte die „Diesel Motoren-Fabrik“ mit technischen Problemen zu kämpfen, so geriet die Allgemeine bald in finanzielle Schwierigkeiten, die zu einem Kapitalschnitt auf die Hälfte führten. Diesel hatte die zu erwartenden Einnahmen aus Lizenzverträgen zu hoch eingeschätzt. Aufgrund der Schwierigkeiten mit den Motoren, die auch die Lizenznehmer und ihre Produkte nicht verschonten, blieben erwartete Zahlungen aus.

Da die Herabsetzung des Kapitals nur über die Stammaktien ausgeführt wurde, verblieben Diesel danach lediglich seine Prioritätsaktien und ein Genussschein über 250.000 Mark. Die Gründung der Allgemeinen hatte folglich nicht zur Absicherung seiner Familie geführt, sondern mit der Liquidation der „Diesel Motoren-Fabrik“ zum Verlust des größten Teils seines Vermögens. Diesel empfand finanzielle Transaktionen als „unsympathisch“ – er war kein Kaufmann.

Mit dem Ablauf der Hauptpatente von 1907 fiel die Geschäftsgrundlage für die Allgemeine weg. So wurde 1910 die Liquidation der Gesellschaft beschlossen und ein Jahr später ihre Auflösung durchgeführt.

Die Euphorie des Jahres 1897, getragen von den Messungen Schröters im Frühjahr und der Vorstellung des Motors in der Fachwelt im Juni beruhte auf einem Irrtum, der großen wirtschaftlichen Schaden anrichtete, der Rudolf Diesel besonders traf. Und in eine Krise führte. Wenn Sass schreibt, dass Diesel das „brauchbare Verfahren“ fand, bevor die Versuche in Augsburg begannen, dann muss die Frage erlaubt sein, warum es mehr als sechs Jahre dauerte, daraus einen „brauchbaren“ Motor zu entwickeln. War der Schritt von der Theorie zur Konstruktion und damit zur Praxis für alle Beteiligten, also auch für Diesel zu groß und damit der Irrtum von 1897 unvermeidlich? Diesel schrieb später, in der letzten Veröffentlichung kurz vor seinem Tod, die neue Maschine sei ein Kompromiss zwischen der Theorie und den Notwendigkeiten der Praxis“. Hätte er das wesentlich früher zum Ausdruck gebracht, wäre ihm manches erspart geblieben. Das war keineswegs Schicksal, sondern eher Tragik.

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Hans-Jürgen Reuß
Der Autor betreibt ein Pressebüro mit den Schwerpunkten Schifffahrt, Schiffbau, Schiffbauzulieferindustrie und Schifffahrtsgeschichte.