Werften und Zulieferindustrie ohne Alternative
Das auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen im Dezember 2015 beschlossene Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung ist seit dem 4. November 2016 in Kraft. Damit gaben sich alle Unterzeichnerstaaten einem „globalen Ziel“ verpflichtet, die Erderwärmung „deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen“. Die IMO hat dazu 2018 der internationalen Seeschifffahrt Ziele für die Jahre 2050 und 2100 gesetzt. Dem gegenüber stehen die Interessen von Staaten, die über gigantische Reserven an fossilen Kraftstoffen verfügen. Und deren Bedarf an technischer Ausrüstung im weitesten Sinne tangiert die Interessen der maritimen Wirtschaft in ganz erheblichem Umfang und noch für eine lange Zeit. Der daraus resultierende Widerspruch, dem sich die betreffenden Unternehmen aussetzen, ist wohl nicht zu lösen? Cui bono?
Das Beispiel Katar
Das staatseigene Öl- und Gas-Unternehmen „Qatar Petroleum“ – kurz QP – des Emirates Katar gilt als weltweit größter Lieferant von Erdgas. Mit der Veröffentlichung einer Ausschreibung zur Reservierung von Schiffbaukapazität, zum Bau mehr als 100 LNG-Großtankern, hat QP bereits Anfang 2019 bekannt gegeben, dass es seine Erdgasförderung in ganz erheblichem Maße ausweiten will.
Doch dabei geht es offenbar nicht allein um eine Steigerung der Fördermenge im Emirat selbst und damit der benötigten Transportkapazität, sondern auch um Transportkapazität für Erdgas-Fördermengen aus den USA. Wie es heißt, steht dahinter ein Gemeinschaftsunternehmen von QP und Exxon Mobil, das 2024 mit seiner Förderung beginnen will.
Zunächst hieß es, dass die jährliche Erdgasförderung ab 2024 um mehr als 40 Prozent gesteigert werden soll, entsprechend einer Menge von 33 Millionen Tonnen des verflüssigten Erdgases, auf 110 Millionen Tonnen. Um die globale Verteilung der zusätzlich geförderten Menge sicherzustellen zu können, würden gut hundert Flüssiggas-Tankschiffe benötigt, hieß es offiziell.
Mitte 2020 gab QP bekannt, dass man mit den folgenden drei Werften in Südkorea jeweils ein Abkommen zur Reservierung der Baukapazität für den Ausbau der LNG-Tanker-Flotte bis 2027 geschlossen habe: Daewoo Shipbuilding and Marine Engineering, Hyundai Heavy Industries und Samsung Heavy Industries. In diesem Zusammenhang wurde nochmals auf die Steigerung der Erdgasförderung des Emirates eingegangen, die mit dem Ausbau des „Offshore North Fields“ verbunden ist, und nannte nun als Ziel ab 2027 eine jährliche Fördermenge entsprechend 126 Millionen Tonnen Flüssigerdgas.
Dazu hieß es wörtlich in einem Statement von Saad Sherida Al‑Kaabi, CEO von Qatar Petroleum, alles sei nun „Volldampf voraus“ auf dem Weg „to ensure the reliable supply of additional clean energy to the world“.
„Saubere Energie“? Gewiss, das je nach Provenienz fast ausschließlich aus Methan bestehende Erdgas hat gegenüber Schweröl und auch den leichteren Dieselkraftstoffen und Heizöl erhebliche Vorteile, doch ist es weder CO2– noch klimaneutral als Schiffskraftstoff zu verwenden. Weder sind damit die 2015 in Paris beschlossenen Ziele zur Begrenzung der Erderwärmung, noch die Ziele der IMO für die internationale Schifffahrt von 2018 zu erreichen. Das gilt sowohl hinsichtlich der gesetzten Grenzen wie des gesetzten Zeitpunktes.
Das ganze Vorhaben ist ein riesiges Projekt, sowohl für das Emirat Katar wie für die beteiligten Werften und die Zulieferindustrie. Im Raum steht ein Betrag von 70 Milliarden Katar-Riyal, der je nach aktuellem Devisenkurs etwa 16 Milliarden Euro entspricht.
Die neuen 100+‑Tankschiffe sollen nach Aussage von QP mit Zweitakt-Wechselmotoren (dual-fuel) der neuesten Generation ausgerüstet und mit dem verdampfenden Gas aus der Ladung betrieben werden. Das entspricht den Bemühungen des Emirates um den Klimaschutz, dem es sich mit eigenen Worten wie folgt verschrieben hat: „We will continue working on reducing emissions from our fleet to protect the regional and global environment …“.
Die mit der letzten großen Bestellung bei den drei oben schon genannten Werften gebauten Tanker vergrößerten die Flotte ab 2007 um 45 Einheiten. Das waren 31 Schiffe der sogenannten Q-Flex-Klasse und 14 der Q-Max-Klasse. Letztere sind die bislang größten Tankschiffe der Welt für Flüssigerdgas, mit einer Kapazität von knapp 270.000 m3. Alle Schiffe wurden für den Hauptantrieb jeweils noch mit zwei langsamlaufenden, elektronisch gesteuerten Zweitaktmotoren von MAN (Baureihe S70 ME-C) ausgerüstet, die nur mit Schweröl oder Gasöl betrieben werden können. Das während der Reise aus der Ladung verdampfende Gas muss auf diesen Schiffen folglich mit hohem Aufwand rückverflüssigt werden, da die Motoren nicht auf den Betrieb mit Gas umgeschaltet werden können.
Ganz anders sieht es nun bei den zu bauenden Schiffen aus, nachdem klar zum Ausdruck gebracht wurde, dass sie mit Wechselmotoren ausgerüstet werden sollen. Dafür kommen alternativ nur Motoren der Marken MAN B&W sowie WinGD in Frage. Die hinter diesen Marken stehenden Unternehmen MAN Energy Solutions und Winterthur Gas & Diesel haben im Laufe des Jahres 2020 mehrere Presseinformationen veröffentlicht, welche Verbesserungen an den Motoren ihres Programms vorgenommen bzw. welche Motoren neu ins Programm genommen wurden, und damit – ohne das Thema direkt anzusprechen – ihr Interesse an der Motorisierung dieser Schiffe erkennen lassen.
Die Angebote der Motorenentwickler
Zum Schiffbau und zur Schifffahrt gehört seit nahezu 110 Jahren der Großmotorenbau. Die Entwicklung derartiger Motoren liegt für die Zweitakter, die überwiegend für den Hauptantrieb in Frage kommen, immer noch in Europa: in Kopenhagen und in Winterthur. Der Bau dieser Motoren findet allerdings fast ausschließlich in Asien statt, wo auch die meisten Frachtschiffe entsprechender Größe gebaut werden. Das traditionsreiche Schweizer Unternehmen Sulzer ist, nach einigen Jahren unter dem Dach von Wärtsilä, voll in chinesischer Hand. Bei MAN Energy Solutions mit den Bereichen Viertaktmotoren in Augsburg und Zweitaktmotoren in Kopenhagen ist völlig offen, in welche Hände das Unternehmen in nächster Zeit geraten wird. Beide Unternehmen entwickeln ihre Motoren weiter, da sie aufgrund einer fehlenden Alternative unverändert gefragt sind.
MAN Energy Solutions
MAN Energy Solutions kann außer den Wechselmotoren der Baureihen ME‑GI nur die neuen Motoren der Baureihe G ME‑GA anbieten. Die ME‑GI-Motoren arbeiten im Gasbetrieb mit einer Hochdruck-Einblasung des Methans. Das ist eine vergleichsweise teure Lösung, die allerdings einen wesentlichen Vorteil gegenüber Motoren hat, die mit dem klassischen Zündstrahlverfahren arbeiten, da ihr Methanschlupf im Ottobetrieb vernachlässigbar klein ist. Angeboten werden 17 leistungsmäßig eng gestaffelte Baureihen langsamlaufender Zweitaktmoren von 1950 bis 82440 kW.
Mit der Vorstellung der neuen Zweitaktmotoren der Baureihe G ME‑GA geht das Unternehmen technisch gesehen einen Schritt zurück. Knapp zehn Jahre zuvor war dieser Schritt – bei der Vorstellung der ME‑GI-Motoren in Kopenhagen – nicht denkbar. Damals stand die Hochdruck-Einblasung des Kraftstoffs als die Lösung im Raum, mit der man die Wechselmotoren künftig ausrüsten wollte. Vermutlich ist jedoch der Marktdruck inzwischen so stark geworden, dass man jetzt erst einmal Motoren mit einer Bohrung von 700 Millimeter und auch nur mit fünf oder sechs Zylindern herstellen lassen will.
Interessanterweise haben diese neuen Motoren dieselbe Bohrung wie die Motoren auf den Schiffen der Q-Klassen, allerdings einen deutlich längeren Hub. Ihr Vorteil: Sie sind wesentlich preisgünstiger als leistungsgleiche ME‑GI-Motoren, was das Unternehmen in seinen Veröffentlichungen sogar hervorhebt. Auf einem Prospektblatt heißt es: „Lower the pressure on your capital cost.“
Und die wesentlichen Nachteile dieser Motoren: Ihre Leistung ist bezogen auf den Hubraum niedriger und der Methanschlupf größer als bei den ME‑GI-Motoren. Immerhin würde die Leistung von zwei dieser Motoren für Tankschiffe, die etwas kleiner sind als die der Q-Klassen, völlig ausreichen. Noch sind technische Daten der zu bauenden Schiffe nicht veröffentlicht worden. Die Motoren aber speziell für solche Anwendungen entwickelt worden.
Warum MAN die Vorzüge der Abgasrückführung (AGR) bei diesen Motoren besonders betont, ist nicht ganz nachzuvollziehen. Schließlich handelt es sich um eine vergleichsweise alte Technik, die seit Jahrzehnten im Verbrennungsmotorenbau eingeführt ist, um die NOx-Emissionen zu senken. Das Unternehmen meint allerdings, dass allein mit dieser Technik der spezifische Gasverbrauch im Ottobetrieb um etwa 3 Prozent, der Gasölverbrauch im Dieselbetrieb um 5 Prozent und der Methanschlupf um 30 bis 50 Prozent gesenkt werden kann. Auch die Neigung zu Frühzündungen beim Ottobetrieb der Motoren soll die AGR reduzieren. Die weiteren Äußerungen hierzu vermitteln den Eindruck, dass die ME‑GA-Motoren vorzugsweise als reine Ottomotoren zum Einsatz kommen sollen. Wie auch immer, mit AGR werden nach Aussage des Unternehmens in beiden Betriebsarten die Grenzwerte von IMO Stufe 3 eingehalten. Das gilt für den Dieselbetrieb jedoch nur mit einem zusätzlichen SCR-System.
Ein weiterer interessanter Aspekt im Zusammenhang mit Qatar Petroleum und den zu bauenden Schiffen ist die Bekanntmachung, dass die Viertaktmotoren der Baureihe 32/40 R von MAN mit einem Umbausatz auf den Wechselbetrieb mit Erdgas eingerichtet werden können. Diese Motoren sind unter anderem in großer Zahl auf den Tankschiffen von QP als Antrieb der Bordaggregate im Einsatz.
Wie inoffiziell zu erfahren war, zielt diese Bereitstellung von Umrüstsätzen unter anderem auf die Bordaggregate der Gastankschiffe des Emirates. Die Frage nach einer entsprechenden Umrüstung der Hauptmaschinen dieser Schiffe – was nur konsequent wäre – wurde weder in Augsburg noch in Kopenhagen beantwortet, stand aber schon seit vielen Jahren im Raum.
Nach allem, was unterschiedlichen Quellen zu entnehmen ist, sollen wohl „Pakete“ geschnürt werden, die zum Beispiel im Fall MAN Energy Solutions nicht nur die Lieferung der Motoren für die neuen Schiffe, sondern auch eine Umrüstung der alten Schiffe umfassen könnten.
Für die Umbausätze hat MAN im September 2020 in Augsburg die Typzulassung (TAT) mehrerer Klassifikationsgesellschaften erhalten. Dem Unternehmen ging es mit dieser Entwicklung um „eine finanziell attraktive und wettbewerbsfähige Lösung, die schnell umrüstbar und … mit der die maximale Motorleistung beibehalten werden kann“. Der Umrüstsatz ist nach Aussage des Unternehmens „in erster Linie für den Gasbetrieb, hauptsächlich Boil-off-Gas, ausgelegt“. Der attraktive Preis hat natürlich auch Nachteile: Die umgebauten Motoren entsprechen mit ihren Emissionen nur den Grenzwerten von IMO Stufe 1.
Winterthur Gas & Diesel
Winterthur Gas & Diesel (WinGD) kann für die Hauptantriebe der zu bauenden Gastankschiffe die weiterentwickelten, langsamlaufenden Zweitakt-Wechselmotoren der Baureihen X‑DF anbieten. Davon stehen sechs Baureihen für den Leistungsbereich von 2775 bis 63840 kW im Programm. Im Frühjahr 2020 klassifizierte Bureau Veritas den 12-Zylinder-Motor der Baureihe X 92 DF. Die erste Serie von neun Motoren ist für den Antrieb von 23.000-TEU-Containerschiffen bestimmt, die als Kraftstoff Erdgas verwenden sollen.
Außer den Wechselmotoren der X‑DF-Baureihen steht im Programm von WinGD noch die ältere Konstruktion der Baureihe RT‑flex 50‑DF, die allerdings eine wesentliche Lücke im Leistungsband der X‑DF-Motoren füllt.
Um den Nachteil der X-DF-Motoren gegenüber den ME-GI-Motoren von MAN auszugleichen, hat das Schweizer Unternehmen in Zusammenarbeit mit Alfa Laval eine Abgaskühleinrichtung entwickelt, die im Zusammenwirken mit einer Abgasrückführung zu einer verminderten Emission unverbrannten Methans führen soll. Wie es heißt, soll der Methanschlupf um bis zu 50 Prozent reduziert werden. Der effektiv verbleibende Methanschlupf wurde – wie auch von MAN – allerdings nicht bekannt gegeben.
Mittelschnelllaufende Viertakt-Wechselmotoren für den Antrieb von Bordaggregaten stehen nicht im Programm von WinGD. Für die Neubauten von QP könnte jedoch eine der drei Werften Wechselmotoren mit Leistungen bis zu 10.000 kW Wellenleistung zuliefern. Sie stehen im Programm von Hyundai Heavy Industries. Für höhere Leistungen kämen dann nur noch Wechselmotoren von Wärtsilä in Frage.
Schlussbemerkungen
Anfang 2018 hatten sich die Mitglieder der IMO geeinigt, der internationalen Seeschifffahrt eine Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen bis 2050 um mindestens 50 Prozent, bezogen auf die Emissionen von 2008, als Ziel vorzugeben. Wie bei den Zielen des Pariser Klimagipfels erfolgte auch diese politische Vorgabe ohne Rücksicht auf den Stand der Technik. Von einer Machbarkeitsstudie, die derartigen Festlegungen hätte vorausgehen müssen, keine Spur.
Wenn nun Ende November 2020 ausgerechnet CIMAC, der internationale Verband der Verbrennungsmotorenhersteller, „ambitionierte und langfristige Perspektiven“ vermisst, mit denen die Ziele der IMO erreicht werden könnten, dann sollte man sich bei CIMAC mal fragen, was denn die Motorenhersteller überhaupt dazu beitragen könnten. Ein neuer „Systemansatz“, wie 2018 aus dem Kreis der Motorenhersteller auf der SMM dringend gefordert, ist jedenfalls – soweit es diese Unternehmen betrifft – unverändert nicht zu erkennen.
Der von MAN seit geraumer Zeit verstärkt empfohlene Wechsel zu Gas als Schiffskraftstoff ist solange keine Lösung in Richtung der maritimen Energiewende, wie dieser Kraftstoff fossilen Ursprungs ist. Und hier schließt sich der Kreis zu einem der größten Investitionsvorhaben des Schiffbaus, dem Bau von gut hundert Gastankschiffen zum Transport von Erdgas, die weit über das Jahr 2050 hinaus im Einsatz bleiben werden.
Wenn dann auch noch Dirk Bergmann, der neue Vorsitzende der CIMAC Strategiegruppe Treibhausgas, meint, die IMO-Ziele seien „konservativ“, dann sollte er auch gleich sagen, welche Maßnahmen die CIMAC-Mitglieder ergreifen sollen, mit denen die Ziele erreicht werden können.