Der aufgrund der Corona-Pandemie vorübergehend in den Hintergrund getretene, jetzt aber wieder verstärkt diskutierte weltweite Klimawandel lässt in der Arktis Eis schmelzen, so dass diese Weltregion verstärkt in das Blickfeld der Weltpolitik gerät. Dies erfolgt in Form eines Machtkampfes seitens der Anrainermächte, aber auch entfernter Staaten um geographische Abgrenzungen zu Land und zur See, um Seerouten, Ressourcen, aber auch um militärische Operationsgebiete nördlich des Polarkreises. Die Auswirkungen des Klimawandels wurde besonders wegen jüngster Arktisreisen von Forschungsschiffen aus Russland und Deutschland unterstrichen, denen Eisbrecher Pfade durch die Eisplatten freimachten

Die 50 LET POBEDY, eines der größtes russischen nuklear-elektrisch betriebenen Eisbrecher
Die 50 LET POBEDY, eines der größtes russischen nuklear-elektrisch betriebenen Eisbrecher

Das russische Forschungsschiff 50 LET POBEDY („50. Jahrestag des Sieges“) mit Sensoren zur Meeresbodenvermessung, dem zwei nuklear- bzw turboelektrisch betriebene Eisbrecher voran fuhren und eine eisfreie Passage ermöglichten, kreuzte im Sommer 2020 zwischen Grönland und dem Nordpol über den sog. Lomonossow-Rücken, ein etwa 1.800 km langes sich bis zu 3.700 m über dem Meeresboden erstreckendes Massiv, über dem auch der Nordpol liegt. Nach russischer Ansicht handelt es sich bei diesem Rücken um eine Verlängerung des (1873 von einer österreichischen Nordpolexpedition entdeckten) zu Russland gehörigen Archipels Franz Josef-Land und sei damit russisches Territorium. Dagegen betrachtet Dänemark den Rücken unter Wasser als einen Teil Grönlands, das mit weitgehender Autonomie zu Dänemark gehört. Kanada wiederum behauptet, der Rücken gehe von Ellsmere Island aus, einem Teil der kanadischen Region Nunavut.  Seit Jahren schon versuchen Wissenschaftler der drei Länder die Gesteinsformationen des Rückens zu erforschen, um daraus Zugehörigkeitsansprüche stellen zu können.

Russland bereitet nach norwegischen Angaben auf Grund der im Sommer 2020 gesammelten Daten einen Antrag bei jener UNO-Kommission vor, die entscheidet, ob unter Wasser liegende Gesteinsformationen dem Festlandsockel eines bestimmten Landes zuzurechnen sind. Davon könnte die Vergabe von Rechten abhängen, an bestimmten Meeresstellen Fischerei zu betreiben oder am Meeresboden nach Öl und Gas zu bohren. Schon 2007 war ein russisches U-Boot im Zuge einer wissenschaftlichen Erkundung auf den arktischen Meeresgrund abgetaucht und hatte dort genau am Nordpol eine russische Fahne (Trikolore Weiß/Blau/Rot) aus Titan platziert.

Tatsächlich macht die im Rückgang befindliche Eispanzerung der Arktis eine Neuverhandlung von Ansprüchen auf die Weltregion unumgänglich. Von US-Seite wurden Satellitenbilder analysiert, die den Ausbau russischer Basen nördlich des Polarkreises (66,57 Grad nördl. Breite) zeigen, die einst von der Sowjetunion errichtet, aber später aufgelassen wurden. Bei einem russischen Manöver wurde mit drei U-Booten gleichzeitig die Eisdecke durchbrochen, was spektakuläre Bilder für die Medien lieferte.

Immer galt die Arktis als „Zone des Friedens“, zumindest als eine Region mit Konflikten niedriger Intensität. Mehr hätten aber auch die klimatischen Bedingungen nicht zugelassen:  Temperaturen von minus 20 bis minus 50 Grad, die Maschinen nicht gut funktionieren lassen und den Zugriff auf Ressourcen, sowie den Verkehr behindern bzw. unmöglich machen. Dazu kommen die kurzen Sommer. Zur Kampfzone wurde die Arktis erstmals im Zweiten Weltkrieg, als alliierte Geleitzüge zur Unterstützung der Sowjets die Region passierten. Im Kalten Krieg blieb die Arktis relativ ruhig, U-Boote fuhren allerdings unter dem Eis. Russland, die USA und Kanada erwarteten Bomben und Raketen aus der Richtung ihrer Gegner.

Das Pentagon in Washington hat vor Kurzem betont, dass niemand Interesse an einer Militarisierung der Arktis habe. Auch das Außenministerium in Moskau beteuerte fast gleichzeitig, dass sich Russland an alle internationalen Gesetze halte und etwaige Wünsche, die Arktis im Hinblick auf eine potentielle Abschreckung zu militarisieren, Besorgnis auf russischer Seite ausgelöst hätten. Mit dem Auftauen der arktischen Eisdecke fühlen sich die Anrainer von der See her bedroht, von norwegischer Seite wurde dazu festgestellt, dass damit der „natürliche Schutzgürtel“ Russlands allmählich verschwinde, was Russland zu verstärkter Militärpräsenz in der Region veranlasse.

Tatsächlich werden dort alte Sowjet-Stützpunkte seit den 2000er-Jahren saniert und neue gebaut – an Sibiriens Küsten und auch auf arktischen Inseln Russlands, beispielsweise Nagarskaja auf Franz Josef -Land mit 80,8 Grad nördl. Breite der nördlichste Stützpunkt, ausgerüstet je nach Notwendigkeit mit Flugfeldern, Häfen, Radar, Störsystemen und Raketen, sowie teilweiser Stationierung von Bodentruppen. Geplant ist ferner der Bau von „Eis-Kriegsschiffen“ mit eisbrechenden Fähigkeiten. Insgesamt gehe es dabei um zwei Dutzend Arktisbasen, die sich allerdings über eine Strecke von rund 6500 km von der norwegischen Grenze bis zur Beringstraße verteilen.

Die anderen Arktis-Anrainer sind schlechter gerüstet. Dänemark unterhält auf Grönland etwa 100 Mann, je vier Schiffe und Hubschrauber, sowie ein bis zwei Flieger. Die USA verfügen auf Grönland den Stützpunkt Thule. Im Zuge der „Sirius-Patrouille“ fahren Soldaten mit Hundeschlitten die Ost- und Nordküste Grönlands ab. Norwegens Nord-Brigade mit Infanterie und Panzer ist gegenüber Russland postiert. Für das Eismeer stehen vier Fregatten und sechs U-Boote zur Verfügung. In der kanadischen Arktis-Inselwelt sind vier Kompanien und 2.000 Panzer verstreut. Gescheiterte Manöver wegen ungünstiger klimatischer Bedingungen veranlassten Kanada zur Bereitstellung von eisfesten Kriegsschiffen und mehr als 20 Eisbrechern. Die USA haben erst seit Kurzem die Arktis verstärkt ins Visier genommen. Die Küstenwache hat derzeit drei Eisbrecher (Russland 45), kaum eines der US-Kriegsschiffe ist eistauglich, im Norden Alaskas gibt es keine Militärbasen. US-Präsident Donald Trump initiierte den Bau von sechs Eisbrechern. Erst kürzlich wurde in einem Strategiepapier beschlossen, die in Alaska stationierten 25.000 Gis in Richtung Arktis auszurichten und zwei Armeebrigaden für Kaltwetter- und Gebirgseinsätze „tauglich“ zu machen. Ziel sei, „Dominanz“ zu erreichen.

Die zunehmend wärmeren Sommer und das schwindende Packeis ermöglichen die Eröffnung bzw. die Ausweitung neuer Seerouten auch für Containerschiffe. Die derzeitige Nordostpassage vom Atlantik bei Norwegen bis in den Pazifik bei der russischen Halbinsel Kamtschatka kann im Sommer auch schon von Tankschiffen befahren werden. Über die Nordostpassage sind Schiffe im arktischen Sommer von Ostasien nach Europa zwei Wochen schneller unterwegs als um Südasien herum und durch den Suezkanal. Diesen Umstand hat China auf den Plan gerufen – es hat sich als „Near Arctic State“ (Staat nahe der Arktis) qualifiziert und das, obwohl Peking vom Nordpol gut 7.000 km entfernt liegt.

Als Arktisanrainer investiert vor allem Russland in Infrastruktur. Auf diese wären dann auch Schiffe angewiesen, die die Nordostpassage nutzen wollen. Schon heute verfügt Russland über die leistungsfähigste Eisbrecherflotte, darunter auch mehrere nuklear- bzw turboelektrisch betriebene Eisbrecher, weitere Modelle sind im Bau. Die russische Wirtschaft hängt sehr am Export von Öl und Gas und hofft daher auf neue Vorräte und Transitwege nach Asien. Holz aus sibirischen Wäldern wird schon sehr lange über die großen Ströme in das Eismeer und von dort über die im Sommer eisfreie Küstenzone und die Beringstraße nach ostasiatischen Empfängerländern verschifft.

Auch der Panama-Kanal ließe sich bei einer zunehmend „erwärmten“ Arktis umschiffen. Aber die sich in Kanadas Norden durch die Inselwelt vorbeischlängelnde Nordwestpassage dürfte für Containerschiffe nur schwer passierbar sein. Hier reicht das dicke Packeis immer wieder knapp an das kanadische Festland heran. Noch steht nicht fest, ob sich die neuen Seerouten am Rand der Arktis wirtschaftlich lohnen, auch weil im Sommer ungünstige Winde riesige Eisschollen in weiter südliche Gegenden treiben können. Reedereien müssten für solche Eventualitäten eigene Containerschiffe in Dienst stellen, die Kollisionen überleben – und damit teuer sein werden.

Was Ressourcen betrifft befinden sich in Grönland große Vorräte an sog. Seltenen Erden, die bei Computern, Smartphones und anderen Elektrogeräten eingesetzt werden. Deswegen ist in den USA der eher „irreale“ Plan aufgetaucht, die weitgehend eisbedeckte größte Insel der Welt den Dänen „abzukaufen“.

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Harald Krachler
Gastautor bei VEUS-Shipping.com.