Programmlücke wird systematisch geschlossen
Die Bemühungen der beiden großen Verbrennungsmotorenentwickler, auf der einen Seite MAN Diesel & Turbo, auf der anderen Wärtsilä, die in der Vergangenheit zum Verkauf gestandene MTU Friedrichshafen GmbH zu erwerben, um im Marktsegment schnelllaufender Dieselmotoren verstärkt bzw. überhaupt tätig werden zu können, waren bekanntlich gescheitert. Erfolgreich blieb allein Rolls Royce. Ging es für Wärtsilä um den Einstieg in den Markt, so für MAN um das Schließen einer großen Lücke zwischen den Mittelschnellläufern aus Augsburg und den Schnellläufen aus Nürnberg.
Während Wärtsilä bis heute keine schnelllaufenden Dieselmotoren im Programm hat, sieht die Situation für MAN völlig anders aus. Das Unternehmen ist auf dem besten Weg, die Lücke von beiden Seiten her zu schließen. Aus Nürnberg stehen gegenwärtig Motoren mit Leistungen von 190 bis knapp 1400 kW zur Verfügung und in Augsburg konnte man kürzlich die ersten Anwendungen von 12-Zylinder-Motoren der neuen Baureihe 175 bekanntgeben.
Die 2014 auf der SMM in Hamburg vorgestellten schnelllaufenden Dieselmotoren der Baureihe 175 sollen künftig mit 12, 16 und 20 Zylindern angeboten werden. Bei Zylinderleistungen von 135 bis 185 kW wird damit der Leistungsbereich von 1620 bis 3700 kW gedeckt. So kann die bisherige Lücke im Programm als geschlossen angesehen werden, zumal das Unternehmen alternativ mittelschnelllaufende Motoren in diesem Leistungsbereich anbieten kann (Technische Daten s. Tabelle).
Bei den Motoren der Baureihe 175 handelt es sich ausschließlich um Varianten in V-Bauweise mit einem Winkel von 60°, der zwar für Ausführungen mit 12 Zylindern beste Bedingungen hinsichtlich des Massenausgleichs bietet, jedoch nicht für Motoren mit 16 und 20 Zylindern. Bei einem 12-Zylinder-Motor mit diesem Winkel sind die freien Kräfte und Momente der ersten und der zweiten Ordnung null. Beim 16- und beim 20-Zylinder-Motor sieht das nicht so gut aus. Das Motiv für den gewählten V-Winkel liegt in der damit verbundenen äußerst schmalen Bauweise der Motoren.
Welche konstruktiven Maßnahmen getroffen werden, um die Laufruhe auch bei den beiden letztgenannten Motorvarianten sicherzustellen, wollte das Unternehmen noch nicht bekanntgeben. Man darf gespannt sein.
Als Hauptanwendungsbereiche nennt das Unternehmen Fähren, Offshore-Versorgungsschiffe, Schlepper und andere Arbeitsboote, aber auch Superyachten und Marineschiffe. Darüber hinaus rechnet sich MAN offenbar gute Chancen für Remotorisierungen mit diesen Motoren aus, da ausdrücklich auf die konstruktive Auslegung für die Verwendung als Schiffsantrieb und die damit verbundene kompakte Bauweise und die daraus resultierende hohe Bauraumleistung hingewiesen wird, in dem es heißt: „ Passt in vorhandene Motorräume“.
Gegenwärtig laufen mehrere Motoren und Bordaggregate mit diesen Motoren auf acht Prüfständen in Augsburg im Versuchsbetrieb, unter anderem im Dauertest Rund-um-die-Uhr mit mehr als 1000 Stunden. Auch extremen Belastungen oberhalb der Nennleistung und der Nenndrehzahl werden die Motoren ausgesetzt.
Ursprünglich sollten die ersten Pilotprojekte bereits 2015 in Dienst gestellt werden. Nun kommen sie in den nächsten Monaten. Beim ersten Schiff, das mit diesen Motoren ausgerüstet wird, handelt es sich um einen Offshore-Versorger mit einem diesel-elektrischen Antrieb mit vier Stromerzeugungsaggregaten. Die Leistung wird mit jeweils 1920 kW bei einer Drehzahl von 1800 min-1angegeben. Hinsichtlich des Einsatzprofils geht man von 4000 bis 5000 Betriebsstunden pro Jahr aus. Die Motoren erfüllen bei diesem Einsatz die Emissionsgrenzwerte der IMO Stufe 3.
Das zweite Pilotprojekt betrifft eine Fähre in Katamaran-Bauweise mit mechanischem Antrieb, die in Asien zum Einsatz kommen soll. Zwei Motoren mit einer Leistung von je 2200 kW werden Festpropeller antreiben.
Ende 2015 stellte MAN die neue Baureihe auch auf der Marintec in Shanghai vor. Die asiatischen Märkte, besonders aber der chinesische Markt, zeigen offenbar starkes Interesse an schnelllaufenden Dieselmotoren in der Leistungsklasse der Baureihe 175. Dazu heißt es, dass die Vorstellung der Motoren in China überwiegend aufgrund einer „lokalen Nachfrage“ erfolgte.
Das Unternehmen bietet nicht nur die Motoren, sondern Paketlösungen mit optimal auf deren Charakteristik abgestimmten Getrieben, Propellern aus eigener Produktion und Wellen an.