Medizinische Notfälle an Bord können die Mannschaft eines Seeschiffs vor große Herausforderungen stellen. Der Maritimes Cluster Norddeutschland e. V. und die Oldenburgische IHK widmeten dem Thema Notfallmanagement und Rettungsketten in der Schifffahrt eine Veranstaltung, die die telemedizinische Versorgung in der Berufsschifffahrt und in der Offshore-Windenergie-Branche von verschiedenen Seiten betrachtete. Referenten aus der Schifffahrt, dem Seenotrettungsdienst, einer Berufsgenossenschaft und medizinischen Einrichtungen berichteten von ihren Erfahrungen und stellten innovative notfallmedizinische Strategien vor.
Im internationalen Vergleich hervorragend: die medizinische Versorgung auf Schiffen unter deutscher Flagge
Von seinen Erfahrungen in der medizinischen Notfallversorgung an Bord berichtete Carsten Wibel von der Bugsier-, Reederei- und Bergungs-Gesellschaft mbH & Co. KG. Um die Qualität der notfallmedizinischen Versorgung sicherzustellen und kontinuierlich weiterzuentwickeln, seien Weiterbildungen und Bordübungen zur Sicherheitsgrundausbildung von Besatzungsmitgliedern von großer Bedeutung. „Die medizinische Versorgung von Besatzungsmitgliedern an Bord auf Schiffen deutscher Reeder mit den aktuell verfügbaren Mitteln ist gut, und im internationalen Vergleich sogar herausragend“, sagte Wibel zum Ist-Zustand.
Jedem fünften Alarm auf See folgt ein Notrettungseinsatz
Udo Helge Fox, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, informierte über die Grundlagen und die Organisation des Seenotrettungsdienstes sowohl weltweit als auch im deutschen Zuständigkeitsbereich. Die Notwendigkeit dieser Strukturen veranschaulichte er mit konkreten Zahlen. „Aus insgesamt 10.000 eingehenden Alarmierungen pro Jahr resultiert bei jeder fünften Alarmierung ein Einsatz für die Seenotretter im Such- und Rettungsbereich der DGzRS“, erläuterte Fox.
Unterschiede in der Notfallversorgung von Seeschiffen und dem Offshore-Bereich
Wie unter deutscher Flagge die medizinische Notfallversorgung an Bord von Seeschiffen geregelt ist, erörterte Christian Bubenzer von der Dienststelle Schiffssicherheit der BG Verkehr. Er erklärte die rechtlichen und organisatorischen Unterschiede zwischen der Handelsschifffahrt und der Situation im Offshore-Bereich. Bubenzer lobte die herausragende medizinische Ausstattung auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge, zu berücksichtigen sei jedoch das Spannungsfeld zwischen hohen Standards und der Gefahr der Ausflaggung. Mit Fotos vergangener Hafenstaatkontrollen, mit sowohl vorbildlichen, als auch katastrophalen Schiffsapotheken, verdeutlichte er die Qualität der medizinischen Versorgung auf Schiffen unter deutscher Flagge.
Jörg Abel vom Seeärztlichen Dienst der BG Verkehr gab den Veranstaltungsteilnehmern Einblicke in die medizinische Versorgung auf Seeschiffen aus Sicht eines Notfallmediziners. Der Fokus seines Berichts lag auf dem Einsatz von Telemedizin, der landseitigen, ärztlichen Beratung über das Telefon oder Funk. Während in der Handelsschifffahrt in der Regel ein Nautiker als medizinischer Laie für die Erstversorgung an Bord zuständig ist, steht im Offshore-Bereich oft geschultes Personal vor Ort in Kontakt mit dem Telemediziner. Die „klassische“ Telekonsultation über die notfallmedizinische Hotline Medico-Cuxhaven habe sich bewährt und häufig als hilfreich erwiesen, sie habe allerdings auch Nachteile, meinte Jörg Abel.
Innovative notfallmedizinische Strategien in besonderen Einsatzgebieten
Neue Ansätze zur Notfallversorgung und -abwicklung präsentierte Dr. Rüdiger Franz vom Klinikum Oldenburg. Am Beispiel Offshore Wind erläuterte Dr. Franz innovative akut- und notfallmedizinische Versorgungsstrategien in besonderen Einsatzgebieten. Auch anderen Zweigen der Berufsschifffahrt empfiehlt er, zu prüfen, inwieweit durch die Anschaffung moderner Endgeräte zur direkten Übertragung von Diagnosewerten des Patienten an das Klinikum die Kosten für Deviationen und Rückholungskosten die Mehrkosten aufwiegen.
Das Ziel: eine sichere Arbeit an Bord und Offenheit für Neues
Klaus Graf von der IQ.medworks GmbH moderierte die anschließende Podiumsdiskussion, an der die Referenten und Dr. Jörg Beneker vom Unfallkrankenhaus Berlin teilnahmen. Das Podium diskutierte, inwieweit telemedizinische Systeme in der Seeschifffahrt Verbreitung finden werden und, ob die bestehenden und bewährten Konzepte der notfallmedizinischen Versorgung auf Handelsschiffen zukunftsfähig sowie zeitgemäß sind. Die Meinungen hierzu gingen auseinander, die Wünsche der Diskussionsteilnehmer fielen hingegen einheitlich aus: Ziel sei es, eine sichere Arbeit an Bord zu gewährleisten und offen für Neuerungen zu sein. Die gleichen Standards wie an Land können auf See nicht gewährleistet werden. Umso wichtiger sei es, die praktische Ausbildung von Nautikern zu verbessern und gezielte Aufklärungsarbeit für Ausnahmesituationen zu leisten. So könnten Stresssituationen während des Kontaktes mit dem erfahrenen Notfallmediziner vermieden werden. Auch die Kosten seien ein entscheidender Faktor beim Notfallmanagement in der Schifffahrt. In Deutschland befänden wir uns in punkto medizinischer Versorgung an Bord „auf der Insel der Glückseligen“, betonte Carsten-S. Wibel.