Als Gefahren für den Verlust maritimen Wissens sieht die Präsidentin des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), Dr. Karin Kammann-Klippstein, den Ausverkauf maritimer Unternehmen, Direktinvestitionen ausländischer Staatsunternehmen oder stark subventionierter Unternehmen in strategisch wichtige maritime Bereiche, den fehlenden Nachwuchs in der Schifffahrt und die mangelnde Wahrnehmung der Bedeutung der maritimen Branche für Deutschland.
Im Rahmen einer Vortagsveranstaltung des Deutschen Maritimen Zentrums wies sie darauf hin, dass mit der Übernahme eines Unternehmens von einem ausländischen Konzern unweigerlich ein Verlust von Know-How in Deutschland verbunden ist. Ein weiteres großes Problem sieht sie in dem fehlenden Nachwuchs für Schiffsbesatzungen. Ein Grund u.a. dafür sei die geringe Anzahl von deutschen Schiffen unter deutscher Flagge, auf denen deutscher Nachwuchs ausgebildet wird. Nahezu alle von der Branche kritisierten bürokratischen Hindernisse, die dem Führen der deutschen Flagge entgegenstehen, seien inzwischen abgebaut. Dennoch fuhren Ende 2020 von den 1.844 deutschen Handelsschiffen lediglich 290 Schiffe unter deutscher Flagge.
Dadurch sei es für Absolventinnen und Absolventen nautischer Studiengänge sehr schwierig, eine Anstellung auf einem Schiff zu finden und ihr Patent ausfahren zu können. Hinzu komme, dass die für die junge Generation immer wichtiger werdende Integration von Berufs- und Privatleben auf See nicht möglich sei.
„Wir müssen irgendwie die Faszination für diesen außerordentlichen Beruf der Seefahrt wieder sichtbar machen“ so Kammann-Klippstein „Menschen mit seemännischer Erfahrung sind auch gesuchte Fachleute für landseitige Arbeitsplätze der maritimen Industrie“.
Insgesamt ist die deutsche maritime Branche, in der direkt oder indirekt rund 400.000 Menschen beschäftigt sind, jedoch noch gut aufgestellt. Dazu trägt auch die überwiegend mittelständische nationale Zulieferindustrie bei, die 70 bis 80 Prozent der Wertschöpfung eines in Deutschland gebauten Schiffes erbringt.
Die Präsidentin wies darauf hin, dass es elementar wichtig sei, die Bedeutung der maritimen Branche für Deutschland sichtbar zu machen und auf die Gefahren, die ihr momentan drohen, in der Öffentlichkeit und der Politik hinzuweisen. Dazu müsse die in Deutschland herrschende „Sea-Blindness“, eine Unfähigkeit, die zentrale Rolle der Meere für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand zu würdigen, beseitigt werden.
Von grundlegender Bedeutung ist es, diese „Sea-Blindness“, die in Deutschland herrscht, zu beseitigen. Die Präsidentin: „Fragen Sie 50 km und weiter von der Küste entfernt Menschen danach, welche Seehäfen oder Reedereien sie kennen, wie viele Menschen im maritimen Bereich arbeiten und was sie mit Deutschland und dem Meer verbinden: Sie werden vorwiegend Antworten bekommen, die Tourismus und Wassersport auf dem Meer und an den Küsten betreffen.
Fragen Sie Menschen, was ihnen als Erstes zur Verkehrswirtschaft einfällt. Autoindustrie, Flugverkehr und vielleicht die Bahn werden genannt. Dass wir aber eine hochqualifizierte maritime Industrie haben, fällt allenfalls nach längerem Überlegen ein. Dabei sprechen wir von einem der wichtigsten Wirtschaftszweige Deutschlands, in dem rund 400.000 Beschäftigte etwa 50 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften.
Deutschland ist Exportweltmeister. Wichtigste Infrastruktur dafür ist das Meer. 90 Prozent der Güter weltweit werden über die Seewege transportiert. Wenn Sie die Menschen nach der wichtigsten Verkehrsinfrastruktur fragen, werden sie ihnen Schiene und Autobahn nennen, nicht die Wasserwege.
Wir müssen der Gesellschaft die Bedeutung des Meeres als für unseren Wohlstand unerlässlichen Bereich präsent zu machen. Wir müssen mit Daten und Fakten die Bedeutung der maritimen Branche untermauern und vor allem das Interesse wecken“
Mit der in diesem Jahr beginnenden UN Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung wird ein wichtiger Schritt gemacht, um die Bedeutung der Meere international sichtbar zu machen. „Wenn sich das Interesse der Öffentlichkeit dadurch stärker als bisher auf die Meere richtet, kann es gelingen, den Reiz der maritimen Branche und die Bedeutung des Erhalts ihres know-hows besser als bisher zu vermitteln – in Schulen, Universitäten, in der Wirtschaft, der Verwaltung und der Politik,“ so die Präsidentin der zentralen maritimen Behörde Deutschlands.
Das BSH ist die zentrale maritime Behörde Deutschlands. Im Mittelpunkt der Aufgaben stehen u.a. die Förderung, Sicherheit und Überwachung der Seeschifffahrt, Forschung und Erhebung langer Datenreihen im Bereich der Ozeanographie und Meereschemie, der Wasserstandsvorhersagedienst sowie die nautische Hydrographie, im Rahmen derer amtliche Seekarten erstellt werden. Ein in letzter Zeit stetig anwachsender Bereich ist die Zuständigkeit als Genehmigungs- und Überwachungsbehörde für Offshore-Windenergieanlagen. Als deutsche Flaggenstaatsverwaltung und Dienstleister unterstützt das BSH die maritime Wirtschaft mit Genehmigungen, Haftungsbescheinigungen, Produktprüfungen, Zulassungen und Bereitstellung von Daten.
Um die Vereinbarkeit von Schutz und Nutzung der Meere kontinuierlich zu verbessern und das Wissen über die Meere kontinuierlich zu vertiefen, arbeitet das BSH in der maritimen anwendungsorientierten Forschung und an der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Untersuchungen und Bereitstellung von Daten zu Seegangsmessungen in Offshore-Windparks und der Aufbau von Schallmessnetzen in Nord- und Ostsee sowie die Bereitstellung von Daten und technischen Informationen zu Impulsschall im Meer sind Beispiele dafür. Auch die Entwicklung von Technologien zur Messung von Schiffsemissionen in der Luft gehört dazu. Mit dem BSH Systemlabor Navigation und Kommunikation steht eine Testumgebung für komplexe Navigations- und Kommunikationssysteme zur Verfügung.